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Bildende Kunst und Literatur

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<strong>Bildende</strong> <strong>Kunst</strong> <strong>und</strong> <strong>Literatur</strong><br />

lischen Beichte hinaus <strong>und</strong> berührt sich in merkwürdigen Einzelheiten<br />

mit der Technik unserer Psychoanalyse. Ein von Goethe als scherzhaft<br />

bezeichnetes Beispiel einer psychotherapeutischen Beeinflussung möchte<br />

ich hier ausführlich mitteilen, weil es vielleicht weniger bekannt <strong>und</strong><br />

doch sehr charakteristisch ist. Aus einem Brief an Frau v. Stein (Nr.<br />

1444 vom 5. September 1785):<br />

»Gestern Abend habe ich ein 1 psychologisches <strong>Kunst</strong>stück gemacht. Die<br />

Herder war immer noch auf das Hypochondrischste gespannt über alles,<br />

was ihr im Carlsbad unangenehmes begegnet war. Besonders von ihrer<br />

Hausgenossin. Ich ließ mir alles erzählen <strong>und</strong> beichten, fremde Untaten 2<br />

<strong>und</strong> eigene Fehler mit den kleinsten Umständen <strong>und</strong> Folgen, <strong>und</strong> zuletzt<br />

absolvirte ich sie <strong>und</strong> machte ihr scherzhaft unter dieser Formel be-<br />

greiflich, daß diese Dinge nun abgethan <strong>und</strong> in die Tiefe des Meeres<br />

geworfen seyen. Sie ward selbst lustig darüber <strong>und</strong> ist würklich kurirt.«<br />

Den Eros hat Goethe immer hochgehalten, seine Macht nie zu verklei-<br />

nern versucht, ist seinen primitiven oder selbst mutwilligen Äußerungen<br />

nicht minder achtungsvoll gefolgt wie seinen hochsublimlerten <strong>und</strong> hat,<br />

wie mir scheint, seine Wesenseinheit durch alle seine Erscheinungsformen<br />

nicht weniger entschieden vertreten als vor Zeiten Plato. Ja, vielleicht<br />

ist es mehr als zufälliges Zusammentreffen, wenn er in den Wahlver-<br />

wandtschaften eine Idee aus dem Vorstellungskreis der Chemie auf das<br />

Liebesleben anwendete, eine Beziehung, von der der Name selbst der<br />

Psychoanalyse zeugt.<br />

Ich bin auf den Vorwurf vorbereitet, wir Analytiker hätten das Recht<br />

verwirkt, uns unter die Patronanz Goethes zu stellen, weil wir die ihm<br />

schuldige Ehrfurcht verletzt haben, indem wir die Analyse auf ihn selbst<br />

anzuwenden versuchten, den großen Mann zum Objekt der analytischen<br />

Forschung erniedrigten. Ich aber bestreite zunächst, daß dies eine Er-<br />

niedrigung beabsichtigt oder bedeutet.<br />

Wir alle, die wir Goethe verehren, lassen uns doch ohne viel Sträuben<br />

die Bemühungen der Biographen gefallen, die sein Leben aus den vor-<br />

handenen Berichten <strong>und</strong> Aufzeichnungen wiederherstellen wollen. Was<br />

aber sollen uns diese Biographien leisten? Auch die beste <strong>und</strong> vollstän-<br />

digste könnte die beiden Fragen nicht beantworten, die allein wissens-<br />

wert scheinen.<br />

Sie würde das Rätsel der w<strong>und</strong>erbaren Begabung nicht aufklären, die<br />

1 [In Goethes Original steht hier das Wort »recht«.]<br />

2 [Goethe hat eigentlich »Unarten« geschrieben.]<br />

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