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Bildende Kunst und Literatur

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<strong>Bildende</strong> <strong>Kunst</strong> <strong>und</strong> <strong>Literatur</strong><br />

zweite pathologische Befriedigung. Er konnte sich vor ihr beschimpfen,<br />

demütigen, sie auffordern, ihn zu verachten, zu bedauern, daß sie ihn<br />

alten Sünder geheiratet, <strong>und</strong> nach dieser Entlastung des Gewissens ging<br />

dies Spiel am nächsten Tag weiter. Und die junge Frau gewöhnte sich<br />

an diesen Zyklus, weil sie bemerkt hatte, daß dasjenige, von dem in<br />

Wirklichkeit allein die Rettung zu erwarten war, die literarische Pro-<br />

duktion, nie besser vor sich ging, als nachdem sie alles verloren <strong>und</strong> ihre<br />

letzte Habe verpfändet hatten. Sie verstand den Zusammenhang na-<br />

türlich nicht. Wenn sein Schuldgefühl durch die Bestrafungen befriedigt<br />

war, die er selbst über sich verhängt hatte, dann ließ seine Arbeits-<br />

hemmung nach, dann gestattete er sich, einige Schritte auf dem Wege<br />

zum Erfolg zu tun 1 .<br />

Welches Stück längst verschütteten Kinderlebens sich im Spielzwang<br />

Wiederholung erzwingt, läßt sich unschwer in Anlehnung an eine No-<br />

velle eines jüngeren Dichters erraten. Stefan Zweig, der übrigens Do-<br />

stojewski selbst eine Studie gewidmet hat (Drei Meister [1920]), erzählt<br />

in seiner Sammlung von drei Novellen Die Verwirrung der Gefühle<br />

[1927] eine Geschichte, die er ›Vier<strong>und</strong>zwanzig St<strong>und</strong>en aus dem Leben<br />

einer Frau‹ betitelt. Das kleine Meisterwerk will angeblich nur dartun,<br />

ein wie unverantwortliches Wesen das Weib ist, zu welchen es selbst<br />

überraschenden Überschreitungen es durch einen unerwarteten Lebens-<br />

emdruck gedrängt werden kann. Allein die Novelle sagt weit mehr,<br />

stellt ohne solche entschuldigende Tendenz etwas ganz anderes, allge-<br />

mein Menschliches oder vielmehr Männliches dar, wenn man sie einer<br />

analytischen Deutung unterzieht, <strong>und</strong> eine solche Deutung ist so auf-<br />

dringlich nahegelegt, daß man sie nicht abweisen kann. Es ist bezeich-<br />

nend für die Natur des künstlerischen Schaffens, daß der mir befreun-<br />

dete Dichter auf Befragen versichern konnte, daß die ihm mitgeteilte<br />

Deutung seinem Wissen <strong>und</strong> seiner Absicht völlig fremd gewesen sei,<br />

obwohl in die Erzählung manche Details eingeflochten sind, die gerade-<br />

zu berechnet scheinen, auf die geheime Spur hinzuweisen. In der No-<br />

velle Zweigs erzählt eine vornehme ältere Dame dem Dichter ein Er-<br />

lebnis, das sie vor mehr als zwanzig Jahren betroffen hat. Früh ver-<br />

witwet, Mutter zweier Söhne, die sie nicht mehr brauchten, von allen<br />

Lebenserwartungen abgewendet, geriet sie in ihrem zwei<strong>und</strong>vierzigsten<br />

1 Immer blieb er so lange am Spieltisch, bis er alles verloren hatte, bis er vollständig<br />

vernichtet dastand. Nur wenn sich das Unheil ganz erfüllt hatte, wich endlich der<br />

Dämon von seiner Seele <strong>und</strong> überließ dem schöpferischen Genius den Platz. (Fülöp-<br />

Miller <strong>und</strong> Eckstein, 1925, LXXXVI.)<br />

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