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Bildende Kunst und Literatur

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<strong>Bildende</strong> <strong>Kunst</strong> <strong>und</strong> <strong>Literatur</strong><br />

Künstler überhaupt sei. Auch der tatkräftige, sich in die Arbeit verbei-<br />

ßende Michelangelo habe viele seiner Werke unvollendet gelassen, <strong>und</strong><br />

es sei so wenig seine Schuld gewesen wie die Leonardos im gleichen Falle.<br />

Auch sei so manches Bild nicht so sehr unfertig geblieben, als von ihm<br />

dafür erklärt worden. Was dem Laien schon ein Meisterwerk scheine, das<br />

sei für den Schöpfer des <strong>Kunst</strong>werks immer noch eine unbefriedigende<br />

Verkörperung seiner Absichten; ihm schwebe eine Vollkommenheit vor,<br />

die er im Abbild wiederzugeben jedesmal verzage. Am wenigsten ginge<br />

es aber an, den Künstler für das endliche Schicksal verantwortlich zu<br />

machen, das seine Werke träfe.<br />

So stichhaltig manche dieser Entschuldigungen auch sein mögen, so<br />

decken sie doch nicht den ganzen Sachverhalt, der uns bei Leonardo<br />

begegnet. Das peinliche Ringen mit dem Werke, die endliche Flucht vor<br />

ihm <strong>und</strong> die Gleichgültigkeit gegen sein weiteres Schicksal mag bei vielen<br />

anderen Künstlern wiederkehren; gewiß aber zeigte Leonardo dies Be-<br />

nehmen im höchsten Grade. Edm. Solmi zitiert (1910, 12) die Äußerung<br />

eines seiner Schüler: »Pareva, che ad ogni ora tremasse, quando si poneva<br />

a dipingere, e però non diede mai fine ad alcuna cosa cominciata, con-<br />

siderando la grandezza dell’ arte, tal che egli scorgeva errori in quelle<br />

cose, che ad altri parevano miracoli.« 1 Seine letzten Bilder, die Leda,<br />

die Madonna di Sant’ Onofrio, der Bacchus <strong>und</strong> der San Giovanni<br />

Battista giovane seien unvollendet geblieben »come quasi intervenne di<br />

tutte le cose sue …« 2 Lomazzo, der eine Kopie des Abendmahls an-<br />

fertigte, berief sich auf die bekannte Unfähigkeit Leonardos, etwas<br />

fertig zu malen, in einem Sonett:<br />

»Protogen che il penel di sue pitture<br />

Non levava, agguaglio il Vinci Divo,<br />

Di cui opra non è finita pure.« 3<br />

Die Langsamkeit, mit welcher Leonardo arbeitete, war sprichwörtlich.<br />

Am Abendmahl im Kloster zu Santa Maria delle Grazie zu Mailand<br />

malte er nach den gründlichsten Vorstudien drei Jahre lang. Ein Zeit-<br />

genosse, der Novellenschreiber Matteo Bandelli, der damals als junger<br />

Mönch dem Kloster angehörte, erzählt, daß Leonardo häufig schon früh<br />

1 [»Er schien jedesmal zu zittern, wenn er den Pinsel ansetzte, um zu malen, <strong>und</strong> doch<br />

vollendete er keines der Werke, die er unternahm, denn er hatte von der <strong>Kunst</strong> eine<br />

so erhabene Meinung, daß er Fehler fand, wo andere W<strong>und</strong>erwerke erblickten.«]<br />

2 [»Wie es mit fast allen seinen Werken geschah.«]<br />

3 [»Protogenes, der niemals den Pinsel von seinen Bildern absetzte, gleich dem gött-<br />

lichen Vinci, der auch niemals etwas vollenden konnte.«] Bei Scognamiglio (1900 [112]).<br />

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