Aichholzer N., Friedhuber, J.(2003) - Ludwig Boltzmann Institut für ...
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4. RAUCHEN ALS KARRIERE<br />
Im folgenden wird der Einstieg in das Zigaretten Rauchen von Jugendlichen als Lernprozess<br />
rekonstruiert, der sich innerhalb und unter dem Einfluss bestimmter sozialer Systeme<br />
vollzieht und daher, wie in der alten, modellhaften Studie von Howard Becker (1963, 1981),<br />
als Karriere begriffen werden kann. Karriere soll dabei bedeuten, dass der Jugendliche im<br />
Zuge dieses Lernprozesses nicht einfach etwas Neues erlernt, sondern dabei gleichzeitig<br />
seinen sozialen Status verändert: er mutiert vom Kind zum jungen Erwachsenen, als der er<br />
in seinen Kreisen dann Anerkennung findet, und er tut das durch Ausbildung einer Identität<br />
und eines gesamten Lebensstils, der ihn mit vielen anderen verbindet. Tatsächlich ist es<br />
dieser Lebensstil, der <strong>für</strong> die Jugendlichen selbst und ihre soziale Umwelt zum<br />
Erkennungsmerkmal da<strong>für</strong> wird, dass die Statuspassage gelungen ist. In einigen<br />
Unterschicht-Familien, deren Jugendliche an unseren Fokusgruppen teilgenommen haben,<br />
scheint es sogar so zu sein, dass die Eltern das Kind durch Aufforderung zum Rauchen in<br />
diese Art Initiation hineindrängen.<br />
Wenn es auch sicher nicht die einzige Art von Karriere zum Erwachsenen ist, so ist es doch<br />
eine, die im Verlauf der vergangenen 20 Jahre zunehmend wichtiger geworden ist. Die steil<br />
ansteigenden Raucherprävalenzen unter den Jugendlichen belegen dies (vgl. Dür et al.<br />
2002).<br />
Mit der These der Raucherkarriere wird zunächst zu dem von Eltern und Lehrer/innen<br />
ebenso häufig benutzten wie von wissenschaftlichen Experten widerlegten Paradigma des<br />
Gruppendrucks (peer pressure) eine alternative Erklärung <strong>für</strong> die Aufnahme des Rauchens<br />
bei Jugendlichen angeboten. Das Theorem des Gruppendrucks hat seit einigen Jahrzehnten<br />
als Motiv <strong>für</strong> den Rauchereinstieg gedient. Es operiert mit dem Bild eines form- und<br />
verführbaren, schwachen, inkompetenten und nicht wirklich selbstbewussten Jugendlichen,<br />
der der Welt und ihren Einflüssen nahezu hilflos ausgeliefert ist, ein Bild, dem wir heute nach<br />
mehreren Jugendrevolten, nach der von J. Habermas so benannten Radikalliberalisierung<br />
der modernen Gesellschaften und nach der sukzessiven Verbesserung der pädagogischen<br />
Arbeit an unseren Schulen so nicht mehr zustimmen können. Den sozialen Wandel im<br />
Selbstverständnis der Jugendlichen kann man am besten am Wandel der filmischen<br />
Vorbilder ablesen: das Paradigma des „alten“ Jugendlichen verkörpert am idealsten James<br />
Dean in dem schon vom Titel her vielsagenden Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“,<br />
während das Bild des „neuen“ Jugendlichen vielleicht am besten von Harry Potter und<br />
Hermine Granger verkörpert wird. Dazwischen etwa liegen die revoltierenden und<br />
fehlgeleiteten Jugendlichen aus Filmen wie „Der Wilde“, „If“ oder „Clockwork Orange“.<br />
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