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Tagespßege<br />

Andrea Bernutz<br />

83<br />

Seit nunmehr fast 30 Jahren sind die Einrichtungen<br />

<strong>de</strong>r Tagespßege in <strong>de</strong>r Pßegelandschaft<br />

eine feste und auch immer bekannter wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Größe. Mittlerweile gibt es in je<strong>de</strong>m Bezirk Berlins<br />

Einrichtungen dieser Art.<br />

Einrichtungen wie die Tagespßege Frie<strong>de</strong>nau<br />

be<strong>de</strong>uten für die pßegen<strong>de</strong>n Angehörigen oft<br />

einen Rettungsanker in <strong>de</strong>r täglichen Überlastung,<br />

<strong>de</strong>r sie ausgesetzt sind. Manchmal beginnt<br />

unsere Betreuung mit einem o<strong>de</strong>r zwei Besuchen<br />

pro Woche in unserer Einrichtung. Die Angehörigen<br />

sind hin- und hergerissen zwischen <strong>de</strong>m<br />

Gefühl <strong>de</strong>r Erleichterung und einem schlechten<br />

Gewissen, dass sie die Pßege abgeben. So war<br />

es auch bei Herrn S., <strong>de</strong>m wir <strong>de</strong>n Vorschlag<br />

machten, dass seine Frau, die an einer fortgeschrittenen<br />

Demenz lei<strong>de</strong>t, doch statt wie bisher<br />

nur einmal pro Woche mehrmals zu uns in die<br />

Tagespflege kommen könne. Dann wäre <strong>de</strong>r<br />

Abstand zwischen <strong>de</strong>n Besuchen für sie nicht<br />

so lang und Herr S. könne sich an diesen Tagen<br />

mal tagsüber hinlegen, da er ja nachts durch die<br />

regelmäßigen Aktivitäten seiner Frau nicht zum<br />

Schlafen kommt. Es geÞel seiner Frau bei uns<br />

offensichtlich gut, aber Herr S. war überhaupt<br />

nicht begeistert. Wir wollten ihm wohl seine Frau<br />

wegnehmen, mutmaßte er halb im Scherz, aber<br />

mit einem strengen Unterton. Da er seine Gedanken<br />

und Gefühle oft literarisch zum Ausdruck<br />

bringt, gewährt er uns einen Einblick in seinen<br />

inneren Kampf:<br />

„Also, unsere Ehe war so recht von Herzen ‚langweilig‘.<br />

Ich hatte keine Gespielin und meine Frau keinen Lover. Wir<br />

hatten keinen Streit ums liebgehasste Geld, weil meine Frau<br />

immer zu viel hatte, nämlich die eine Mark Überschuss,<br />

wenn die Geldbörse sonst leer war. Nix Hasch. Nix Suff.<br />

Nix Lotterei. So richtig, wie’s sein soll. So war’s. Wissen<br />

Sie: Das verbin<strong>de</strong>t ziemlich dauerhaft, weil ja alles an<strong>de</strong>re<br />

sonst trennt.<br />

Nun muss ich noch sagen, dass meine Frau alles im Ausweis hat, was <strong>de</strong>m Menschen so Übles zustoßen<br />

kann: 100% Behin<strong>de</strong>rung mit <strong>de</strong>m „H“ für Hilßosigkeit, <strong>de</strong>m „aG“ für außergewöhnliche Gehschwäche,<br />

<strong>de</strong>r Pßegestufe III, Rundfunkgebührenbefreiung, dazu einen reservierten Parkplatz vorm Haus. Wie Sie<br />

sich <strong>de</strong>nken können, wer<strong>de</strong>n wir rundum benei<strong>de</strong>t.<br />

Lange Re<strong>de</strong> – gar kein Sinn: Ich war sauer! Ich hatte meine Frau für einen Tag in <strong>de</strong>r Woche in die Tagespßege<br />

gegeben und nun machte man mir <strong>de</strong>n Vorschlag, sie doch öfter dort zu lassen. Wissen Sie, was ich<br />

gesagt haben Inzwischen können Sie es ahnen, bei meinem Temperament. Ich will doch nicht noch länger<br />

auf meine Frau verzichten! Ich lasse sie mir doch nicht weg nehmen! Das wer<strong>de</strong> ich nie tun!<br />

Sag niemals Nie. Na, <strong>de</strong>r Spruch kann seltsame Blüten treiben. Nun sind wir ja alle gebil<strong>de</strong>te Leute,<br />

die ihren Sigmund Freud gelesen und missverstan<strong>de</strong>n haben. Drum können wir ja alle mitre<strong>de</strong>n, wenn es<br />

ums ES geht. Ums ÜBER-ICH und vor allem um das liebe ICH. Bleiben wir mal beim ES, von wo da mitunter<br />

heftige Poltergeräusche heraufdringen, wenn man sonst keinen Gesprächspartner hat, mit <strong>de</strong>m man<br />

Zwiesprache halten kann. Irgendwann etabliert sich dann in <strong>de</strong>n Gemütskatakomben so ein Kellergeist,<br />

mit <strong>de</strong>m man sich eins murmeln kann. Was, Sie haben es noch nicht erlebt Nein Wirklich Nie eine alte<br />

Frau auf <strong>de</strong>r Straße gesehen, die auf <strong>de</strong>m Weg zu Albrecht vor sich hin murmelte Diese Stelle nimmt bei<br />

mir ein etwas raubautziger Bursche ein. Ich nenne ihn „meinen Gorilla“. Ein aufmüpÞges Monstrum, <strong>de</strong>m<br />

nur schwer zu wi<strong>de</strong>rsprechen ist. Ziemlich kräftig und sehr rechthaberisch!

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