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Zunächst fällt auf, daß <strong>Kolumbus</strong> drei der mit Randnotizen versehenen Bücher erst während<br />
seiner Zeit in Spanien erworben haben kann, dies zeigen die Erscheinungsjahre der<br />
Ausgaben (s. Kap. 4.1.):<br />
Marco Polo 1485<br />
Plinius 1489<br />
Plutarch 1491<br />
Zudem macht sich <strong>Kolumbus</strong> die Mühe, zwei Klassiker zu lesen, Plinius sogar auf Latein.<br />
Verhält sich so ein „naives Gemüt“? Wann <strong>Kolumbus</strong> das damals populäre und in<br />
der Tat naive Werk „Imago mundi“ <strong>des</strong> Kardinals d’Ailly erwarb, wissen wir nicht (er<br />
liest die lateinische Version). Gerade dieses Werk enthält zahlreiche Randbemerkungen<br />
und MADARIAGA versucht zu zeigen, daß deren Inhalt die naive Weltsicht <strong>des</strong> <strong>Kolumbus</strong><br />
belegt, aber es ist auch eine ganz andere Deutung möglich.<br />
Wie verhält sich denn ein moderner Wissenschaftler, der bei einer staatlichen Stelle<br />
Fördermittel beantragt? Er weiß, daß die Entscheidungsträger fachfremd sind – entweder<br />
Wissenschaftler, die schon lange nicht mehr in der Forschung arbeiten, oder Juristen;<br />
soll man diese Personen mit fachlichen Details langweilen, die sie wahrscheinlich<br />
ohnehin nicht verstehen, oder ist es nicht viel besser, weniger tragfähige Argumente in<br />
den Vordergrund zu stellen, von denen man annehmen kann, daß sie auf die Entscheidungsträger<br />
überzeugend wirken? Gewiß ist das letztere angebracht, und so ist es gut<br />
möglich, daß sich auch <strong>Kolumbus</strong> ganz genau so verhielt und seine Argumente <strong>des</strong>halb<br />
mit Zitaten aus der Bibel und der „Imago mundi“ anreicherte.<br />
Die Argumentation <strong>des</strong> <strong>Kolumbus</strong> gegenüber der Talavera-Kommission ist nicht überliefert,<br />
aber sie läßt sich rekonstruieren. Spätere Chronisten sagen, daß <strong>Kolumbus</strong> „Karten“<br />
vorlegte – aber das können unmöglich reine Phantasieprodukte gewesen sein. <strong>Kolumbus</strong><br />
mußte von irgend einem „festen Punkt“ ausgehen, also einem Argument, das<br />
allgemein als richtig akzeptiert wurde, und dies kann nur die Auffassung <strong>des</strong> Ptolemaios<br />
gewesen sein, der für den Abstand Europa-Asien 130 Längengrade ansetzt, jedenfalls<br />
gemäß derjenigen Textversion, die im Spätmittelalter Ptolemaios zugeschrieben wurde.<br />
Die Karte Toscanellis modifiziert zwar die Ansicht <strong>des</strong> Ptolemaios, indem Toscanelli<br />
den Abstand Ostasien-Europa auf 100 Längengrade reduziert, aber auch dann ist die<br />
Entfernung für die damaligen Schiffe noch zu groß.<br />
Ferner stand <strong>Kolumbus</strong> die Erdvermessung Al Farghanis zur Verfügung, der den Erdumfang<br />
richtig mit 360x56,66 Arabischen Meilen angibt (1 Meile = 1,9735 km), woraus<br />
sich der Erdumfang zu rund 40 200 km ergibt. <strong>Kolumbus</strong> rechnet jedoch – ob im besten<br />
Glauben oder absichtsvoll – mit der spanischen Meile von 1,3875 km, wodurch sich der<br />
Erdumfang – im Widerspruch zu Toscanelli - auf 30 000 km reduziert und dem entsprechend<br />
auch der Abstand zwischen Europa und Asien; aber der Abstand ist für die Schiffe<br />
der damaligen Zeit immer noch zu groß (vgl. Kap.4.5.), und so konnte <strong>Kolumbus</strong> nur<br />
noch Marco Polo ins Feld führen und mit dubiosen Interpretationen den Abstand China-<br />
Japan soweit vergrößern, daß Japan von Europa aus für Schiffe erreichbar wurde; <strong>des</strong>halb<br />
wohl auch <strong>Kolumbus</strong>´ Vorliebe für die Entdeckung gerade Japans. Das war alles.<br />
Die Entdeckungen der Nordmänner konnte <strong>Kolumbus</strong> nicht vorbringen, denn er mußte<br />
davon ausgehen, daß die Mehrheit der Kommission, falls sie überhaupt etwas davon<br />
gehört hatte, diese Gefilde als genau so märchenhaft betrachten würde wie die sagenhaf-