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Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

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Text 4<br />

Gyaltsen Gyaltag<br />

Die Geschichte des<br />

tibetischen Volkes<br />

Um <strong>der</strong> Problematik Tibets gerecht werden zu können, müssen<br />

die bestehenden Auffassungen über Tibet vor und nach <strong>der</strong> chinesischen<br />

Annexion einer kritischen Überprüfung unterzogen<br />

werden. Kurzum: Tibet muss entmystifiziert werden, man muss<br />

die «Wahrheit in den Tatsachen» suchen, wie dies Deng Xiaoping<br />

vortrefflich formuliert hat. Das idealisierte Shangrila­Image Tibets<br />

vor 1950 mit seinen romantischen und mystischen Attributen<br />

entspricht ebensowenig <strong>der</strong> Wirklichkeit wie das Bild vom<br />

«sozialistischen Paradies Tibet», das von <strong>der</strong> chinesischen Propaganda<br />

und von <strong>der</strong>en unkritischen westlichen Verteidigern verbreitet<br />

wurde und noch heute wird.<br />

Das traditionelle Tibet vor <strong>der</strong> chinesischen Besetzung war<br />

we<strong>der</strong> ein demokratisches Land noch ein sozialer Rechtsstaat im<br />

heutigen Sinne. Seine soziale Ordnung lässt sich umschreiben als<br />

eine hierarchisch geglie<strong>der</strong>te Nomaden­ und Bauerngesellschaft<br />

mit feudalen und hierokratischen Strukturmerkmalen, die zweifellos<br />

reformbedürftig war. Eine Min<strong>der</strong>heit herrschte über die<br />

Mehrheit, und die Oligarchie aus Klerus und Adel verfügte über<br />

die entscheidenden Machtmittel. Das Volk führte ein hartes und<br />

einfaches, aber zugleich ein zufriedenes und vor allem ein eigenes<br />

Leben, und es wurde von Menschen <strong>der</strong> gleichen Sprache, Religion,<br />

Kultur und Rasse regiert. Die <strong>Tibeter</strong> erlitten vor 1950 nie<br />

eine Hungersnot, und die sozialen Ungerechtigkeiten haben nie<br />

zu Volks<strong>auf</strong>ständen geführt.<br />

Seit Mitte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts lag die Oberherrschaft sowohl<br />

über den geistlichen als auch den weltlichen Bereich <strong>der</strong><br />

Gesellschaft Tibets in den Händen <strong>der</strong> Dalai Lamas. Regierung<br />

und Verwaltung waren aus Vertretern <strong>der</strong> Geistlichkeit und des<br />

Adels zusammengesetzt. Diese enge Verbindung von geistlicher<br />

und weltlicher Herrschaft war <strong>der</strong> Höhepunkt eines langen und<br />

komplexen historischen Prozesses <strong>der</strong> gegenseitigen Anpassung<br />

von buddhistischer Hierarchie und weltlicher Aristokratie.<br />

Bezüglich des völkerrechtlichen Status von Tibet stellt <strong>der</strong><br />

Dalai Lama, das geistliche und politische Oberhaupt des tibetischen<br />

Volkes, folgendes in seiner Rede an Mitglie<strong>der</strong> des Europäischen<br />

Parlaments in Strassburg am 16. Juni 1988 fest: «Unsere<br />

mehr als zweitausendjährige Geschichte ist durch Unabhängigkeit<br />

gekennzeichnet. Seit <strong>der</strong> Gründung unserer Nation im Jahre<br />

127 v. Chr. haben wir <strong>Tibeter</strong> kein einziges Mal unsere Unabhängigkeit<br />

an eine ausländische Macht abgegeben.» In einem Kommentar<br />

<strong>der</strong> «Beijing­Rundschau» vom 2. August 1988 zum neuen<br />

Vorschlag des Dalai Lama zur Lösung des Konfliktes zwischen<br />

Tibet und China wird <strong>der</strong> chinesische Standpunkt zum völkerrechtlichen<br />

Status Tibets wie folgt ausgedrückt:<br />

«Er (das heisst <strong>der</strong> Dalai Lama) versucht nach wie vor, die<br />

Geschichte zu verfälschen, die Tatsachen <strong>auf</strong> den Kopf zu stellen,<br />

zu bestreiten, dass Tibet ein unveräusserlicher Bestandteil<br />

Chinas ist, die chinesische Souveränität über Tibet zu leugnen<br />

und die Tibet­Frage zu internationalisieren … Chinas Souveränität<br />

über Tibet lässt sich nicht bestreiten.»<br />

Die zitierten Aussagen des Dalai Lama und <strong>der</strong> «Beijing­<br />

Rundschau» verdeutlichen die zwei gegensätzlichen Standpunkte,<br />

die im grundsätzlichen Verständnis <strong>der</strong> Beziehungen zwischen<br />

Tibet und China bis heute bestehen. Die sino­tibetischen<br />

Beziehungen waren, historisch betrachtet – je nach <strong>der</strong>en Bedeutung<br />

und je nach Machtverhältnissen zwischen Tibet und<br />

China –, sehr unterschiedlich. Es gab Zeiten, wo mächtige Herrscher<br />

Tibets grosse Teile von China und an<strong>der</strong>en Nachbarstaa­<br />

59 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 60

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