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Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

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Am meisten Sorge bereitet <strong>der</strong> Bauernfamilie, dass es im Dorf<br />

keine gute Schule gibt, in <strong>der</strong> die Kin<strong>der</strong> auch richtig Tibetisch<br />

lernen können. Einige Dutzend Kilometer weiter haben Bauern<br />

mit eigenem Einsatz und Gel<strong>der</strong>n aus dem Ausland eine Schule<br />

hergerichtet, in <strong>der</strong> es nun heizbare Räume gibt. Die Regierung<br />

zahlt die chinesischen Lehrer und Unterrichtsmaterialien, doch<br />

bis jetzt nicht den Tibetisch­Unterricht. Alle über dreissigjährigen<br />

Bauern im Dorf können we<strong>der</strong> lesen noch schreiben und sprechen<br />

auch kein Chinesisch. Ohne ihre Kin<strong>der</strong> hätten sie deshalb<br />

Mühe, sich in einer Kreisstadt o<strong>der</strong> gar <strong>der</strong> Hauptstadt zurechtzufinden.<br />

Schon als sie Kin<strong>der</strong> gewesen seien, hätten die Muslime im<br />

Nachbardorf eine Schule gehabt, erzählen einige. Doch weil die<br />

<strong>Tibeter</strong> an<strong>der</strong>e Sitten hätten und Schweinefleisch ässen, seien sie<br />

dort nicht willkommen gewesen. Auch heute komme es gelegentlich<br />

zu Spannungen. Als die Muslime in ihre knappen Weidegründe<br />

eingedrungen seien, hätten die <strong>Tibeter</strong> die Nachbarn in die<br />

<strong>Flucht</strong> schlagen müssen. Ein Muslim sei dabei lei<strong>der</strong> umgekommen.<br />

Die Dorfältesten hätten den Fall dann geregelt.<br />

Die tibetischen Bauern in <strong>der</strong> Region galten seit alters als<br />

gute Krieger. Bis heute sind sie für ihre sportliche Fertigkeit mit<br />

Pfeil und Bogen bekannt. Die chinesischen Kaiser unterstützten<br />

einst aktiv die Verbreitung des Buddhismus in <strong>der</strong> Region, um so<br />

die <strong>Tibeter</strong> zu befrieden. Sie wüssten, dass Gewaltanwendung<br />

nicht rechtens sei und nur Mitgefühl und Barmherzigkeit zum<br />

Ziel führe, sagen die Bauern. Der Dalai Lama predige das. Noch<br />

mittelalterlicher wirkt das Leben <strong>der</strong> tibetischen Halbnomaden<br />

im Hochland. In Schaffellkleidung gehüllt, treiben langhaarige<br />

Hirten und ihre Hunde bei Minustemperaturen und starkem<br />

Wind die Schaf­ und Yak­Herden über die Weiden. Einige sind<br />

<strong>auf</strong> Motorrä<strong>der</strong>n unterwegs. In Dörfern hängen viele untätig herum.<br />

Mit den Familien sind in den letzten Jahrzehnten auch die<br />

Tierbestände stark gewachsen. Die Regierung hat viele Weidegründe<br />

einzäunen lassen, um die Hirten zu einem nachhaltigeren<br />

Umgang mit dem Land zu zwingen. Dennoch sind überall<br />

Tiere zu sehen. Viele Gebiete wirken überweidet und zeigen deutliche<br />

Anzeichen von Erosion.<br />

In neuen Siedlungen ohne Arbeit<br />

In einem Hochtal verblüfft eine riesige Ansammlung von Reihenhaussiedlungen,<br />

welche von <strong>der</strong> Regierung für die Nomaden<br />

gebaut worden sind. Der grösste Teil davon steht noch leer. Zwei<br />

rund dreissigjährige Ehepaare wohnen in einem <strong>der</strong> vergleichsweise<br />

komfortablen Backsteinhäuser mit angrenzendem Stall<br />

für einige Schafe. Sie seien letztes Jahr hierhergezogen, damit<br />

sie ihre Kin<strong>der</strong> in die Schule schicken und dennoch bei sich behalten<br />

könnten, erzählen sie. Die Regierung habe ihnen die Häuser<br />

mitsamt Wasserversorgung gratis zur Verfügung gestellt. Sie<br />

seien <strong>auf</strong>gefor<strong>der</strong>t worden, einen Teil ihrer Tiere zu verk<strong>auf</strong>en<br />

und in die Häuser zu ziehen; das gehöre zu einem chinesischen<br />

Programm zum Schutz gefährdeter Gebiete vor Überweidung.<br />

Einige Tiere hätten sie denn auch verk<strong>auf</strong>t, zur Finanzierung<br />

<strong>der</strong> Ausstattung mit Sofa und Fernseher und eines mo<strong>der</strong>nen<br />

Fahrrads für die Kin<strong>der</strong>. Doch die ältere Generation wolle nicht<br />

hierherziehen; sie sei mit den restlichen Tieren <strong>auf</strong> dem Hochland<br />

geblieben. Nur Junge und gebrechliche Alte wohnten hier.<br />

Das grosse Problem: Es gibt in <strong>der</strong> neuen Siedlung für die<br />

<strong>Tibeter</strong> keine Arbeit. Um beispielsweise eine professionelle<br />

Fleisch­ o<strong>der</strong> Wollverarbeitung – praktisch die gesamte Viehwirtschaft<br />

dient bloss dem lokalen Gebrauch – <strong>auf</strong>zuziehen, fehlen<br />

den <strong>Tibeter</strong>n das Kapital, das Know­how, <strong>der</strong> Zugang zu den<br />

Märkten in <strong>der</strong> Hauptstadt und wohl auch die unternehmerischen<br />

Ambitionen. Die Eltern hoffen, dass ihre Kin<strong>der</strong> einst <strong>auf</strong><br />

die Uni gehen können und einen sicheren Job zum Beispiel in <strong>der</strong><br />

Verwaltung finden werden. Dazu müssen sie allerdings gut Chinesisch<br />

lernen. Überall in den Wintersiedlungen und Dörfern<br />

<strong>auf</strong> dem Hochland stehen Klöster. An<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> säkular geprägten<br />

Gesellschaft <strong>der</strong> Hanchinesen sind hier offensichtlich<br />

grosse Teile <strong>der</strong> Dorfbevölkerung damit beschäftigt, Heiligtümer<br />

zu umrunden, Gebetstrommeln zu bewegen, sich in <strong>der</strong> eisigen<br />

Kälte vor Tempeln <strong>auf</strong> den Boden zu werfen und einen Teil<br />

ihrer geringen Einkünfte den Klöstern zu spenden. Sie erwerben<br />

sich so religiöse Meriten für die nächste Wie<strong>der</strong>geburt. Trotz behördlichen<br />

Einschränkungen und verstärkter Überwachung<br />

125 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 126

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