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Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

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Text 9<br />

Die Zeit, 12. März 2009<br />

Georg Blume<br />

Protest im Lotossitz.<br />

Wie tibetische Mönche<br />

für ein Essen zu Ehren<br />

des Dalai Lama Kopf<br />

und Kragen riskierten<br />

Qinghai<br />

Das tibetische Kloster in den hohen Bergen <strong>der</strong> westchine­<br />

sischen Provinz Qinghai steht leer. Die Mönche haben sich<br />

versteckt, in einem nahen Hofhaus mit lehmverschmierten Betonwänden.<br />

Drinnen haben sie ein Porträt des Dalai Lama <strong>auf</strong>gehängt.<br />

Vor dem Bild haben die Mönche Butterlampen entzündet<br />

und ein Festmahl <strong>auf</strong>gestapelt: Berge von gesüsstem<br />

Hefebrot, fritierten Fladen, Äpfel und Bananen. Dazu Pepsi­<br />

Cola und Orangenlimonade. Noch haben sie nichts davon angerührt.<br />

Sie sitzen im Lotossitz <strong>auf</strong> blau­weissen Teppichen und<br />

beten. Unter roten Decken, die sie um die Schultern gewickelt<br />

haben, tragen sie goldbraune Seidenjacken. An ihren Handgelenken<br />

blinken die Gebetsketten. Ihre staubigen Schuhe haben<br />

sie nicht ausgezogen.<br />

«Wir beten für die Rückkehr des Dalai Lama», sagen sie. Mit<br />

ihrer Feier gedenken sie des 10. März, an dem vor genau 50 Jahren<br />

<strong>der</strong> Dalai Lama nach Indien floh.<br />

Doch genau das ist verboten.<br />

Die Mönche gehen ein dreifaches Risiko ein: Sie brechen die<br />

Vorschrift, nach <strong>der</strong> sie in China nicht das Inbild des Dalai Lama<br />

anbeten dürfen. Sie machen das am Vortag des politisch hochsensiblen<br />

Jahrestages, zu dem ihnen die kommunistischen Behörden<br />

ausdrücklich jede Art religiöser Betätigung untersagt<br />

haben. Und sie laden dazu eine Fotografin und einen Reporter<br />

<strong>der</strong> ZEIT ein. Das ist für die Mönche gefährlich. Ihnen wurde bei<br />

Wi<strong>der</strong>stand mit <strong>der</strong> Schliessung ihres Klosters gedroht. Doch die<br />

Mönche wollen <strong>der</strong> Welt beweisen, dass ihnen ihr Glaube wichtiger<br />

ist als die Vorschriften <strong>der</strong> Partei. «Wir danken, dass Sie aus<br />

<strong>der</strong> Ferne zu uns gekommen sind, und hoffen, dass Ihre Zeitung<br />

unser Kloster bekannter machen wird», grüsst ihr Klostervorsteher<br />

im diplomatischen Tonfall. Dann bietet er ein Glas Tee an.<br />

Unser Treffen hat Duojie* organisiert, ein junger tibetischer<br />

Student aus <strong>der</strong> westchinesischen Millionenmetropole Lanzhou.<br />

Duojie hat keinen einfachen Job. Der Fahrer, ein Chinese, darf<br />

nicht erfahren, worum es geht. Auslän<strong>der</strong>n ist für unbestimmte<br />

Zeit <strong>der</strong> Zutritt zu den meisten tibetischen Siedlungsgebieten im<br />

Westen Chinas versperrt. Peking aber hat ein riesiges Sicherheits<strong>auf</strong>gebot<br />

nach Tibet entsandt. Es patrouilliert <strong>auf</strong> Strassenkreuzungen<br />

und durch die Zentren <strong>der</strong> grösseren Städte. Die<br />

chinesische Regierung will damit vermeiden, dass sich die Ereignisse<br />

des letzten Jahres wie<strong>der</strong>holen. Viele tibetische Klöster befanden<br />

sich vor einem Jahr in offener Revolte. In Absprache mit<br />

<strong>der</strong> <strong>Exil</strong>bewegung nutzten sie die Aufmerksamkeit vor den Olympischen<br />

Spielen in Peking zum Aufstand gegen die chinesische<br />

Herrschaft. Auch die Mönche, die uns jetzt empfangen, schwenkten<br />

vor einem Jahr die tibetische Nationalflagge. Duojie kennt sie<br />

gut. Er hat in seiner Jugend zwei Jahre als junger Mönch in ihrem<br />

Kloster verbracht. Seine Eltern waren so arm, dass sie für<br />

ihn kein Schulgeld bezahlen konnten. Duojie verdankt den Mönchen<br />

viel, obwohl er es später vorzog, allein in die Stadt zu ziehen.<br />

Jetzt will er ihnen helfen. Er glaubt, dass internationale<br />

135 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 136

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