Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

Pressetexte zum 50. Jahrestag des Tibet-Aufstands (März 2009)
Text 7
Neue Zürcher Zeitung, 10. März 2009
Peter A. Fischer
Chinas Tibeter im
Moder ni sierungs-Stress.
Öko nomische Rückständigkeit,
spirituelle Stärke
und vielschichtige
Benachteiligung
In Chinas Provinz Qinghai leben neben Hanchinesen und Muslimen
auch viele Tibeter. Die Chinesen haben diesen manchen
Fortschritt gebracht. Doch für das tibetische Bemühen um Modernisierung
in Autonomie und ohne Verlust der eigenen Kultur
haben sie kein Verständnis.
Xining, Ende Februar
Xining, die Hauptstadt der chinesischen Provinz Qinghai, liegt
unten im Tal. Unten heisst hier auf gut 2200 Metern über Meer.
Die Gipfel der umliegenden imposanten, trocken­kargen Berglandschaft
ragen teilweise über 5000 Meter hinaus. Sie bergen zu
dieser Jahreszeit noch tiefgefrorene Wasserläufe, welche den für
Nordostchina lebenswichtigen Gelben Fluss speisen. Die Provinz
Qinghai, die gut 17­mal grösser ist als die Schweiz, beherbergt
5,5 Millionen Einwohner. Von diesen leben gut 1,8 Millionen in
der Agglomeration Xining. In der Hauptstadt herrscht ein lautes
Treiben, wie in vielen anderen chinesischen Städten. Nebst der
Zentralverwaltung, dem Handel und den Universitäten haben
sich im Tal Bergbaufirmen, Schwerindustrie sowie grosse Kraftwerke
angesiedelt.
Negatives soll verborgen bleiben
Die Tibeter, welche das Gebiet zu ihrer Kulturregion Amdo zählen,
sind längst in der Minderheit. Offiziell machen sie noch gut
einen Fünftel der Einwohner der Provinz Qinghai aus, zu denen
seit langem auch Muslime und in den letzten Jahrzehnten immer
mehr Hanchinesen zählen. Viele Muslime sind Bauern, manche
gewiefte Händler. Die Han dominieren die Verwaltung, die Industrie
und sind auch im Handel und Gewerbe zu finden. Der
Lebensraum der tibetischen Halbnomaden hingegen ist das auf
gegen 4000 Metern über Meer gelegene Hochplateau. Auch viele
Bauerndörfer in den Bergtälern werden fast nur von Tibetern
bewohnt.
«Ein Schweizer will nach Dangcai? Das geht leider nicht.
Dangcai ist zurzeit für Ausländer gesperrt», informiert ein Beamter
der Sicherheitspolizei den Fahrer. Dieser rief dort an,
nachdem er erfahren hatte, dass der Schweizer das auf Tibetisch
Takster genannte kleine Bergdorf besuchen möchte, das rund
eine Stunde Fahrt von Xining entfernt liegt und in dem einst der
vor fünfzig Jahren ins Exil geflüchtete Dalai Lama als Bauernsohn
geboren wurde. Der Fahrer verweigert bedauernd die Fahrt.
Er musste sich verpflichten, im Zweifelsfall die Sicherheitsdienste
anzurufen. Er würde seine Lizenz und damit seine Lebensgrundlage
verlieren, wenn er trotzdem hinfahren würde, erklärt
er. Kollegen, die es dorthin geschafft haben, berichten, dass die
wenigen Einwohner verängstigt geflüchtet seien und jedes Gespräch
verweigert hätten. «Hier herrscht keine Freiheit wie bei
121 | Unterrichtseinheit Exil Schweiz, Tibeter auf der Flucht Unterrichtseinheit Exil Schweiz, Tibeter auf der Flucht | 122