18.08.2012 Aufrufe

Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Aufmerksamkeit ihnen Selbstvertrauen gibt. Doch die Behörden<br />

dürfen von <strong>der</strong> Natur unseres Besuches nichts erfahren, sonst<br />

drohen Duojie und den Mönchen Strafen.<br />

Vor den Kameras <strong>der</strong> Polizei legt uns <strong>der</strong> Vorsteher die Gebetsschals um<br />

Ganz unerkannt bleiben wir nicht. Kein tibetisches Kloster ist<br />

seit den Unruhen des letzten Jahres ohne ständige Bewacher. Im<br />

Hof des Klosters, einem grossen, neu angelegten Komplex hinter<br />

bunt bemalten Mauern, parkt ihr schwarzer Volkswagen Santana<br />

3000. Duojie ist überrascht. «Schnell weg hier», zischt er.<br />

Dann treffen er und <strong>der</strong> Vorsteher per Handy eine Verabredung.<br />

Er kehrt wie<strong>der</strong> um und stellt uns den Klosterpolizisten als Mitglie<strong>der</strong><br />

einer buddhistischen Vereinigung im Ausland vor. Vor<br />

ihren Kameras legt uns <strong>der</strong> Vorsteher den traditionellen weissen<br />

Gebetsschal <strong>der</strong> <strong>Tibeter</strong> um. Das übliche Zeremoniell. So begrüssen<br />

auch kommunistische Ka<strong>der</strong> in Tibet ihre Gäste.<br />

Damit geben sich die zwei Polizisten zufrieden. Sie tragen<br />

dunkelblaue Ka<strong>der</strong>klei<strong>der</strong> mit Abzeichen und Polizeigürtel. Einer<br />

ist Chinese, einer <strong>Tibeter</strong>, das ist in jedem Kloster <strong>der</strong> Gegend<br />

so. Der <strong>Tibeter</strong> kann mit den Mönchen reden, die meist nur<br />

Tibetisch sprechen. Der Chinese überwacht das Ganze.<br />

Der Vorsteher erklärt den beiden, dass er uns die Ruinen des<br />

600 Jahre alten Klosters über den Klippen am an<strong>der</strong>en Flussufer<br />

zeigen will. Bis dorthin ist es ein langer Spaziergang, vorbei an<br />

ärmlichen Lehmhütten und matschigen Reisfel<strong>der</strong>n. Unterwegs<br />

berichtet <strong>der</strong> Vorsteher, wie sehr sich das Leben im Kloster seit<br />

einem Jahr verän<strong>der</strong>t habe. Dabei spricht er die unangenehmsten<br />

Dinge mit einem freundlichen Lächeln an, so wie man es von<br />

einem Lama wie ihm erwartet.<br />

Früher hätten sich die Mönche frei gefühlt, sagt er. Seit dem<br />

Aufstand im letzten März aber könnten sie nichts mehr unbeobachtet<br />

tun. Bei jedem Gang zur Bushaltestelle o<strong>der</strong> zum Bahnhof<br />

werde er fotografiert. Jeden Abend rufe bei ihm ein Regierungsbeamter<br />

an, um nach beson<strong>der</strong>en Vorkommnissen des Tages zu<br />

fragen. Alle seine Telefongespräche würden abgehört. Die Stimmung<br />

sei bedrückend, er fühle ständige Trauer. Der 10. März sei<br />

für ihn beson<strong>der</strong>s belastend. Er und seine Mönche dürften an<br />

dem Tag nicht das Kloster verlassen. Deshalb stehe es am Vortag<br />

leer. Damit die Mönche in kleinen Gruppen im Geheimen gedenken.<br />

Seine Erzählung erinnert an die Schicksale politischer Dissidenten<br />

in China. Auch sie stehen oft unter Beobachtung von<br />

Zivilpolizisten und dürfen an bestimmten Jahrestagen – meist<br />

ist es <strong>der</strong> 4. Juni, <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlagung <strong>der</strong> Studentenrevolte<br />

von 1989 – ihr Haus nicht verlassen. Nur gibt es von ihnen<br />

in China wenige Dutzende. Nun aber hat sich Peking entschieden,<br />

Zigtausende tibetische Mönche wie Dissidenten zu behandeln.<br />

Es gab Zeiten, als Mönche und Kommunisten miteinan<strong>der</strong> auskamen<br />

Grund dafür gibt es aus Pekinger Sicht offenbar genug. Tatsächlich<br />

hat die Radikalität <strong>der</strong> Mönche unter <strong>der</strong> chinesischen<br />

Repression und dem politischen Druck <strong>der</strong> tibetischen <strong>Exil</strong>bewegung<br />

zugenommen. Der Vorsteher lässt kein Argument aus<br />

Peking gelten, während er mit leichten Strassenschuhen durch<br />

die Pfützen <strong>der</strong> Feldwege stapft. Er ärgert sich immer noch über<br />

den 14. März des letzten Jahres. An diesem Tag erlebte Lhasa,<br />

die Hauptstadt des tibetischen Buddhismus, den grössten Aufstand<br />

seit Jahrzehnten. Die frustrierte tibetische Jugend randalierte<br />

und zerstörte die chinesischen Geschäfte <strong>der</strong> Stadt. 20 Chinesen<br />

kamen dabei nach offiziellen Angaben ums Leben. Seither<br />

benutzt Peking das Ereignis, um seine drakonischen Sicherheitsmassnahmen<br />

in Tibet zu rechtfertigen. Der Vorsteher aber sieht<br />

darin eine hinterhältige List <strong>der</strong> Chinesen, die, als Mönche verkleidet,<br />

die Gewalt angezettelt hätten. Dass es möglicherweise<br />

tibetische Studenten in Lhasa waren, die den Protest entfachten,<br />

so wie es Augenzeugen damals berichteten, lässt <strong>der</strong> Lama nicht<br />

gelten. Seine Ansichten entsprechen ganz <strong>der</strong> Argumentation<br />

<strong>der</strong> <strong>Exil</strong>regierung unter dem Dalai Lama. Offenbar ist sein Kontakt<br />

zur <strong>Exil</strong>bewegung trotz aller Überwachung sichergestellt.<br />

Der Vorsteher und Duojie erreichen den Fluss, über dessen<br />

Ufern sich in schwindelerregen<strong>der</strong> Höhe die Ruinen des alten<br />

137 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 138

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!