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Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

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Wie<strong>der</strong>geburten und das Karmagesetz<br />

Die Grundlage <strong>der</strong> buddhistischen Ethik bildet das unpersönliche<br />

Kausalitätsprinzip, das jedem Wesen die Frucht seiner<br />

Handlungen unausbleiblich zukommen lässt. Der buddhistischen<br />

Kosmographie zufolge lassen sich sechs verschiedene Welten unterscheiden,<br />

in denen ein Wesen wie<strong>der</strong>geboren werden kann: die<br />

Welt <strong>der</strong> Götter, die Welt <strong>der</strong> Halbgötter, die Welt <strong>der</strong> Menschen,<br />

die Welt <strong>der</strong> Tiere, die Welt <strong>der</strong> Geister und die Hölle. Die Existenz<br />

von organischem Leben auch <strong>auf</strong> an<strong>der</strong>en Gestirnen und<br />

Weltsystemen wird ferner von den Buddhisten anerkannt. Die<br />

menschliche Wie<strong>der</strong>geburt ist nach buddhistischer Auffassung<br />

nicht die höchste Existenzform. Für die Erlösung ist sie jedoch<br />

die günstigste. Deshalb ist das menschliche Dasein allen an<strong>der</strong>en<br />

Existenzformen vorzuziehen.<br />

Die Wie<strong>der</strong>geburt ist eine natürliche Folge, die im Gesetz <strong>der</strong><br />

Kausalität begründet ist. Genau wie in <strong>der</strong> physischen Welt folgen<br />

auch die Existenzformen dem Kausalgesetz, das besagt, dass<br />

jede Wirkung ihre Ursache hat und dieser Ursache entspricht.<br />

Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Ethik und Wie<strong>der</strong>geburt wird dieses Prinzip<br />

«Karma» genannt, dem zufolge bessere Wie<strong>der</strong>geburt durch gute<br />

Taten und schlechtere durch schlechte Taten bewirkt wird.<br />

«Ohne eine über die Taten richtende göttliche Instanz anzuerkennen,<br />

unterscheidet <strong>der</strong> Buddhismus heilsame und unheilsame<br />

Taten, nämlich solche, die in Richtung <strong>der</strong> Erlösung und solche,<br />

die von ihr weg führen. Die positive o<strong>der</strong> negative Bilanz<br />

zwischen den heilsamen und unheilsamen Handlungen eines<br />

Wesens entscheidet am Ende seines Lebens, in welchem Reich<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburt es wie<strong>der</strong> entstehen und von welcher Qualität<br />

seine dortige Daseinsform sein wird.» (Schumann, 1976: 73f)<br />

Das jetzige Dasein und dessen Qualität eines menschlichen<br />

Individuums ist folglich das Ergebnis seiner in den Vorexistenzen<br />

vollzogenen Taten. Seine zukünftige Existenzform und <strong>der</strong>en<br />

Qualität wird von den Handlungen seines gegenwärtigen<br />

Daseins bestimmt, wobei nicht Handlungen an sich massgebend<br />

sind, son<strong>der</strong>n ihr Motiv, also die geistige Einstellung des Handelnden.<br />

Demzufolge bestimmt nicht <strong>der</strong> Handlungsvollzug, son­<br />

<strong>der</strong>n die Handlungsintention, <strong>der</strong> Willensakt des Handelnden<br />

die zukünftigen Existenzformen und <strong>der</strong>en Qualitäten. Erst die<br />

Hand lungen, die frei von Unwissenheit, Hass und Gier sind, ermöglichen<br />

demnach dem menschlichen Individuum, sich vom<br />

leidvollen Kreisl<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten zu befreien und die angestrebte<br />

Erlösung zu erlangen. Es muss noch angefügt werden,<br />

dass die karmischen Folgen vollzogener bzw. beabsichtigter Taten<br />

nicht nur bei <strong>der</strong> nächsten o<strong>der</strong> einer späteren Wie<strong>der</strong>geburt,<br />

son<strong>der</strong>n bereits in diesem Leben eintreten können, was von den<br />

Buddhisten sogar als Vorzug angesehen wird. Es ist daher nicht<br />

zufällig, als was und wer, wo und wie, bei welchen Eltern man<br />

wie<strong>der</strong>geboren wird. Das «Karma­Gesetz» darf jedoch nicht deterministisch<br />

<strong>auf</strong>gefasst werden. Die Taten legen nämlich die<br />

Qualität, d. h. z. B. das Geburtsmilieu bzw. Sozialisationsmilieu,<br />

die physische Gestalt und die geistigen Anlagen <strong>der</strong> künftigen<br />

wie<strong>der</strong>geburtlichen Existenzformen eines Wesens fest, nicht aber<br />

die Handlungen des Wesens. Aufgrund <strong>der</strong> Willensfreiheit<br />

herrscht je<strong>der</strong> über seine Handlungen selbst.<br />

Bei aller Wichtigkeit, die <strong>der</strong> Buddhismus <strong>der</strong> sittlichen<br />

Zucht beimisst, wertet er die Güte zu den Wesen noch höher. «Sie<br />

wird als Wohlwollen ohne Zuneigung verstanden und hat den<br />

Zweck, aus dem eigenen Herzen den Hass zu entfernen. Sie ist<br />

eine Läuterungsübung, die die Erlösung för<strong>der</strong>t und in <strong>der</strong> das<br />

Objekt <strong>der</strong> Güte von untergeordneter Bedeutung ist.» (Schumann,<br />

1976: 100) Desgleichen meint Schumann: «Güte und Mitleid<br />

geben <strong>der</strong> Ethik die Lebenswärme, ohne sie ist jede Ethik<br />

steinern und kalt.» (Schumann, 1976: 101f) Güte und Mitleid, die<br />

<strong>der</strong> Buddhist den Wesen entgegenbringen soll, dürfen jedoch keine<br />

Emotion aus Sinneswahrnehmungen sein, son<strong>der</strong>n Tugenden,<br />

die er aus freiem Entschluss entwickelt.<br />

Aus: Gyaltsen Gyaltag: Die tibetische Familie im Wandel und Spannungsfeld zweier Kulturen.<br />

Rikon­Zürich: Tibet­Institut 1990. S. 66–80.<br />

Bibliographie<br />

An<strong>der</strong>son, W.: Der tibetische Buddhismus als Religion und Psychologie. München / Bern 1983.<br />

Carrasco, P.: Land and Polity in Tibet. Seattle 1959.<br />

Freud, S.: Abriss <strong>der</strong> Psychoanalyse. Das Unbehagen in <strong>der</strong> Kultur. Frankfurt a.M. / Hamburg 1971.<br />

101 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 102

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