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Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

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Zahl von Zentraltibetern schloss sich Chushi Gangdrug an. In<br />

ganz Tibet begannen anti­chinesische Kampagnen. 1958 hatten<br />

die Khampa­Wi<strong>der</strong>standsgruppen fast alle abgelegenen Regionen<br />

Tibets unter ihre Kontrolle gebracht, und sogar die Anhänger<br />

des bisher chinatreuen Panchen Rinpoche schlossen sich vermehrt<br />

dem Wi<strong>der</strong>stand an. Sowohl China als auch die Zentralregierung<br />

in Lhasa verloren zunehmend die Kontrolle über die Situation<br />

in Tibet.<br />

In dieser angespannten Lage führte eine an und für sich unbedeutende<br />

Episode zur Eskalation. Im März 1959 wurde <strong>der</strong> Dalai<br />

Lama eingeladen, im chinesischen Militär­Hauptquartier von<br />

Lhasa <strong>der</strong> Aufführung einer Tanzgruppe beizuwohnen. Er nahm<br />

die Einladung an. Das Ungewöhnliche an <strong>der</strong> Einladung bestand<br />

in <strong>der</strong> Aussetzung <strong>der</strong> üblichen Etikette: Der Dalai Lama sollte<br />

allein kommen. Als dies bekannt wurde, kamen sofort Gerüchte<br />

über eine von den Chinesen geplante Entführung des Dalai Lamas<br />

<strong>auf</strong>, und immer mehr Leute versammelten sich vor dem Norbulingka,<br />

dem Sommerpalast des Dalai Lamas. Die spontane Demonstration<br />

richtete sich genauso gegen die chinesische Besatzungsmacht<br />

wie gegen die tibetische Aristokratie, die des Verrats<br />

am Dalai Lama bezichtigt wurde. Nach dem Lynchmord an einem<br />

hohen tibetischen Regierungsbeamten wurde aus <strong>der</strong> Demonstration<br />

rasch eine Revolte. Der Dalai Lama floh mit seinen engsten<br />

Beratern und einer Gruppe von Khampa­Wi<strong>der</strong>standskämpfern in<br />

<strong>der</strong> Nacht vom 16. zum 17. März nach Indien. Noch heute ist unklar,<br />

warum die Chinesen nicht versuchten, seine <strong>Flucht</strong> zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Auch kann wohl nie geklärt werden, ob die Chinesen tatsächlich<br />

vorhatten, den Dalai Lama gefangenzusetzen.<br />

Nachdem die Demonstrationen mehr als eine Woche gedauert<br />

hatten, schritt die Volksbefreiungsarmee in Lhasa ein, und<br />

vom 20. bis 22. März lieferten sich die chinesischen Truppen mit<br />

den meist schlecht ausgerüsteten <strong>Tibeter</strong>n erbitterte Kämpfe,<br />

die fast 10 000 Tote for<strong>der</strong>ten. Als <strong>der</strong> Dalai Lama am 30. März<br />

die Grenze zu Indien überschritt, war <strong>der</strong> Aufstand in Lhasa<br />

längst nie<strong>der</strong>geschlagen, und über dem Potala wehte die rote chinesische<br />

Fahne.<br />

Die <strong>Flucht</strong> des Dalai Lamas führte zum Zusammenbruch des organisierten<br />

landesweiten Wi<strong>der</strong>stands. Zwischen April und Mai<br />

1959 überquerten mehr als 7000 <strong>Tibeter</strong>innen und <strong>Tibeter</strong> die<br />

Grenze und baten in Indien um Asyl. Viele tibetische Soldaten<br />

und Khampas sahen nach <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> ihres spirituellen und weltlichen<br />

Oberhauptes keinen Sinn mehr im bewaffneten Wi<strong>der</strong>stand<br />

und gaben <strong>auf</strong>. Nur vereinzelt kam es noch zu Kämpfen.<br />

Von Mustang aus, einer tibetischen Enklave in Nepal, wurden<br />

mit amerikanischer Unterstützung Guerilla­Angriffe geführt,<br />

die erst 1974 endeten, als die USA und die nepalesische Regierung<br />

ihre Hilfe einstellten.<br />

Der rasche Zusammenbruch des Wi<strong>der</strong>stands verdeutlicht<br />

das eigentliche Anliegen <strong>der</strong> Revolte. Es ging um den Status und<br />

die Macht des Dalai Lamas. Die Einrichtung des «Vorbereitenden<br />

Komitees <strong>der</strong> Autonomen Region Tibet», die mit dem Einverständnis<br />

<strong>der</strong> tibetischen Regierung erfolgt war, hatte zum Verlust<br />

seiner uneingeschränkten Macht geführt. Dieser Machtverlust<br />

stand in <strong>der</strong> buddhistischen Gesellschaft Tibets für die<br />

Degeneration <strong>der</strong> buddhistischen Lehre, und die Chinesen wurden<br />

nicht nur zu politischen Feinden, son<strong>der</strong>n auch zu «Feinden<br />

<strong>der</strong> buddhistischen Lehre». So nannte sich die Khampa­Wi<strong>der</strong>standsbewegung<br />

zuerst «Freiwilligenarmee zur Verteidigung<br />

des Buddhismus». Die Institution <strong>der</strong> Dalai Lamas erweist sich<br />

damit als Brennpunkt einer gemeinsamen tibetischen kulturellen<br />

Identität, die <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Religion beruht. Die Vernachlässigung<br />

dieser kulturellen und religiösen Selbstwahrnehmung war vielleicht<br />

<strong>der</strong> folgenschwerste Fehler <strong>der</strong> chinesischen Tibet­Politik.<br />

Reformen und Kulturrevolution: Zerstörung des kulturellen Erbes<br />

Die <strong>Flucht</strong> des Dalai Lamas, vieler Mitglie<strong>der</strong> des Adels und <strong>der</strong><br />

Regierung sowie weiterer bedeuten<strong>der</strong> Lamas wie des Sakya<br />

Tridzin und des Karmapa bedeuteten das Ende <strong>der</strong> traditionellen<br />

weltlichen und geistlichen Führung des Landes. China gelang<br />

es <strong>auf</strong>grund seiner militärischen Überlegenheit, aber auch<br />

<strong>auf</strong>grund des entstandenen Führungsvakuums, das Land innerhalb<br />

kurzer Zeit völlig in seine Gewalt zu bringen. In <strong>der</strong> Abwe­<br />

111 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 112

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