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Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

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im Kloster bedeutete für die Familie ausserdem im gewissen Sinne<br />

eine wirtschaftliche Entlastung.<br />

Die Unterschicht<br />

Die Unterschicht bestand überwiegend aus Bauern und Nomaden,<br />

aber auch aus Handwerkern, Händlern und Unterhaltern,<br />

die dem Staat und <strong>der</strong> Oberschicht gegenüber zu Abgaben in<br />

Form von Naturalien, Geld und Fronarbeit verpflichtet waren.<br />

Die Angehörigen <strong>der</strong> Unterschicht wurden in Tibet «mi­ser»<br />

genannt. Surkhang, ein ehemaliger tibetischer Minister, definiert<br />

«mi­ser» folgen<strong>der</strong>massen: «Basically, it refers to an individual<br />

who is bound to the land of a lord. In Tibet the lord can be<br />

monastry, aristocracy or government. These peasants cannot be<br />

deprived of their land, but also cannot leave the land without<br />

pernission of their lord.» (Surkhang, 1966: 26) Goldstein übersetzt<br />

«mi­ser» nicht nur mit «serf», son<strong>der</strong>n auch mit «citizen»<br />

und «subject». (vgl. Goldstein, 1971/a) Der deutsche Ausdruck für<br />

«subject» ist «Untertan» (Cassels Woerterbuch, 1974: 497) o<strong>der</strong><br />

«Höriger».<br />

Je nachdem, welcher Grundherrschaft seine Eltern angehörten,<br />

war ein «mi­ser» ein Untertan entwe<strong>der</strong> einer Adelsfamilie,<br />

eines Klosters, eines «ladrang» o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zentralregierung. Die<br />

Bindung an die Grundherrschaft wurde durch Parallel­Abstammung<br />

vererbt, also Mutter­Tochter und Vater­Sohn. Der «mi­ser»<br />

war dabei an den Boden <strong>der</strong> Grundherrschaft stärker gebunden<br />

als an dessen Besitzer bzw. Grundherrn. Denn beim Wechsel des<br />

Besitzers bzw. Grundherrn – z. B. bei <strong>der</strong> Enteignung einer in<br />

Missgunst geratenen Adelsfamilie – blieb er <strong>der</strong> Grundherrschaft<br />

und nicht seinem ehemaligen Grundherrn verhaftet. Daher<br />

schliesst diese Tatsache die Leibeigenschaft eigentlich aus, die<br />

oft mit dem tibetischen Gesellschaftssystem in Verbindung gebracht<br />

wird. «Grundherr und Untertan (miser) haben eine wechselseitige<br />

Beziehung von Herrschaft und Fürsorge einerseits,<br />

Ergebenheit und Leistungsverpflichtungen an<strong>der</strong>erseits. Grundherren<br />

haften Dritten gegenüber für ihre miser und schlichten<br />

Streitfälle unter denselben.» (Rauber­<strong>Schweiz</strong>er, 1976: 40)<br />

Die Nomaden<br />

Die Nomaden Tibets können nur teilweise <strong>der</strong> Unterschicht, also<br />

<strong>der</strong> Schicht <strong>der</strong> «mi­ser», zugeordnet werden, aber sie lassen sich<br />

nicht eindeutig in <strong>der</strong> tibetischen Gesellschaft im Sinne des eben<br />

beschriebenen Modells ansiedeln. Innerhalb <strong>der</strong> traditionellen Gesellschaft<br />

stellen sie vielmehr ein eigenes soziales «Segment» für<br />

sich dar. Es ist von wesentlicher Bedeutung, zwischen Nomaden<br />

West­ und Zentraltibets, die meist einem <strong>der</strong> drei Grundherren<br />

(Geistlichkeit, Adel und Zentralregierung) untertan waren, und<br />

den semi­autonomen Nomadenstämmen, die an <strong>der</strong> Peripherie des<br />

Machtbereiches <strong>der</strong> Zentralregierung ihren Lebensraum hatten,<br />

zu differenzieren. Die letzteren nämlich, die Nomadenstämme von<br />

Nordosttibet (Amdo), Osttibet (Kham) und <strong>der</strong> Nördlichen Ebene<br />

(Dschangthang) standen, eigene interne Hierarchien tradierend,<br />

gleichermassen neben dieser Schichtstruktur. Generell lässt sich<br />

folgendes festhalten: Die gesellschaftliche Organisation und (ihre)<br />

Struktur <strong>der</strong> tibetischen Nomaden gestaltete sich gemäss genealogischen<br />

Beziehungen, die <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Abstammung von einem gemeinsamen<br />

Vorfahren und <strong>auf</strong> <strong>der</strong> durch Filiation entstandenen Verwandtschaft<br />

<strong>der</strong> Einzelmitglie<strong>der</strong> beruhen. Clans bildeten das<br />

Sozialgefüge des nomadischen Sektors, wobei reale verwandtschaftliche<br />

Beziehungen nur in den unteren Struktureinheiten<br />

bestanden, die zusätzlich durch konkrete wirtschaftliche und soziale<br />

Beziehungen miteinan<strong>der</strong> verbunden waren. Die Grösse des<br />

Viehbesitzes war entscheidend für das gesellschaftliche Ansehen<br />

und für die soziale Position <strong>der</strong> Nomadenfamilie. Aus diesem<br />

Grunde war das Wachsen <strong>der</strong> Herden das vorherrschende Ziel des<br />

nomadischen Wirtschaftens, und eine Entnahme von Tieren aus<br />

<strong>der</strong> Herde erfolgte nur selten. Denn mit <strong>der</strong> Kopfzahl <strong>der</strong> Herde<br />

wuchs eben auch das soziale Ansehen.<br />

In West­ und Zentraltibet unterstanden die Nomaden einem<br />

Distriktvorsteher <strong>der</strong> Zentralregierung, einer Adelsfamilie o<strong>der</strong><br />

einem Kloster o<strong>der</strong> «ladrang». Die Nomaden Nordost­ und Osttibets<br />

unterstanden dagegen weitgehend unabhängigen Königen<br />

und Fürsten, aber auch hohen Inkarnationen und <strong>der</strong>en «ladrang».<br />

Diese einheimischen Führer zogen ebenfalls Abgaben in<br />

91 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 92

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