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Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

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Gier nach Vernichtung <strong>der</strong> Drang zur Selbstbeseitigung, wobei<br />

damit nicht <strong>der</strong> Selbstmord gemeint ist. Denn für den Buddhisten<br />

ist alles Leben und vor allem das menschliche Leben ausserordentlich<br />

wertvoll. Nach <strong>der</strong> buddhistischen Auffassung ist die<br />

menschliche Existenzform für die Erlösung nämlich die günstigste,<br />

denn nur als Mensch ist das Wesen imstande, die Lehre<br />

Buddhas zu verstehen und den Weg <strong>der</strong> Erlösung zu gehen. Ausserdem<br />

gilt die menschliche Existenzform als schwer erlangbar<br />

und sehr selten. Die Gier entsteht ursächlich aus sinnlichen und<br />

geistigen Kontakten mit Objekten <strong>der</strong> Umwelt. Angenehme Sinneserfahrungen<br />

und Vorstellungen erzeugen Gier nach Lust und<br />

Werden, unangenehme Gier nach Vernichtung. Im Zusammenhang<br />

mit Freuds Trieblehre könnte man die Gier nach Lust mit<br />

<strong>der</strong> Libido und die Gier nach Vernichtung mit dem Destruktionstrieb<br />

vergleichen. (vgl. Freud, 1971: 12f)<br />

Gemäss <strong>der</strong> dritten Wahrheit, nämlich <strong>der</strong> «Wahrheit von<br />

<strong>der</strong> Leidens<strong>auf</strong>hebung» wird <strong>der</strong> Kreisl<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten<br />

und damit das Leiden durch die Aufhebung bzw. Aufgabe von<br />

Unwissenheit, Hass und Gier beendet. (vgl. Schumann, 1976: 88f)<br />

Ohne Erkenntnis <strong>der</strong> Leidhaftigkeit allen Daseins und <strong>der</strong>en Ursachen<br />

sowie ohne Einsicht in die Möglichkeit <strong>der</strong> Leidens<strong>auf</strong>hebung<br />

bleibt das Heilsziel, nämlich die Erleuchtung und das Verlöschen<br />

im Zustand von «Nirwana» (vgl. Schumann, 1976: 102ff)<br />

unerreichbar. Die Lehre von «Karma», dem Gesetz <strong>der</strong> Kausalität,<br />

erklärt, wie die Verwerfung von Unwissenheit, Hass und<br />

Gier für die Erlösung wirksam wird. Dem Kausalgesetz zufolge<br />

ziehen alle Taten bzw. Handlungen die ihnen qualitativ entsprechenden<br />

Folgen nach sich, ausgenommen bleiben jene Taten, die<br />

nicht von Unwissenheit, Hass und Gier motiviert sind. «Wer nicht<br />

mehr durch sein Karma an das Rad <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten gebunden<br />

ist, dem steht baldiges Verlöschen … bevor.» (Schumann,<br />

1976: 89)<br />

Das endgültige Erlösungsziel ist also das Erlöschen im Zustand<br />

von «Nirwana», das nur durch Aufhebung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten<br />

und Leiden bedingenden Faktoren Unwissenheit, Hass<br />

und Gier zu erreichen ist. Die vierte Wahrheit beinhaltet nun<br />

den «Achtteiligen Pfad», <strong>der</strong> zu diesem Ziel hinführt. (vgl. Schumann,<br />

1976: 89ff) Der «Achtteilige Pfad» besteht aus: 1) rechter<br />

Ansicht, 2) rechtem Entschluss, 3) rechter Rede, 4) rechtem Verhalten,<br />

5) rechtem Leben, 6) rechter Anstrengung, 7) rechter<br />

Achtsamkeit und 8) rechter Meditation. Diese acht Regeln sind<br />

nicht als Gebote, son<strong>der</strong>n vielmehr als Tugenden zu verstehen,<br />

die alle gleichzeitig anzustreben sind. Nachfolgend sollen diejenigen<br />

Regeln, die für die tibetische Familie und Sozialisation <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> relevant sind, im einzelnen kurz erläutert werden. (vgl.<br />

Schumann, 1976: 91ff)<br />

1. Rechte Ansicht bedeutet einerseits die Erkenntnis <strong>der</strong><br />

buddhistischen «Vier Wahrheiten» und <strong>der</strong> Nicht-<br />

Selbstheit aller Dinge, an<strong>der</strong>erseits die Aufgabe <strong>der</strong><br />

«Vier Verkehrten Ansichten». Als verkehrte Ansichten<br />

gelten die Suche nach Dauer im Unbeständigen, nach<br />

Glück im Leidhaften, nach Selbst im Nicht-Selbsthaften<br />

und nach Schönheit im Hässlichen. Die Suche nach<br />

dem eigenen Selbst und damit nach <strong>der</strong> eigenen Identität<br />

wäre demzufolge eine verkehrte Ansicht.<br />

2. Der rechte Entschluss besteht im Entschluss zur Entsagung,<br />

zum Wohlwollen und zur Nichtschädigung von<br />

Lebewesen.<br />

3. Rechte Rede ist solche, die nicht aus Lüge, Klatsch,<br />

Schmähung und Geschwätz besteht.<br />

4. Rechtes Verhalten bedeutet, sich <strong>der</strong> Lebensberaubung,<br />

des Diebstahls und <strong>der</strong> Ausschweifungen zu enthalten.<br />

5. Rechtes Leben bzw. rechte Lebensführung bedeutet,<br />

einem Broterwerb nachzugehen, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en kein Leid<br />

verursacht. Buddha selbst sagte einmal, ein Laienbekenner<br />

soll keinen Handel mit Waffen, Lebewesen,<br />

97 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 98

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