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Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

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chen Dasein bilden den Inhalt buddhistischen Denkens. Unmittelbar<br />

nach seiner Erleuchtung verkündete Buddha als erste<br />

Lehrrede die «Vier Edlen Wahrheiten» von Leiden, Leidensentstehung,<br />

Leidens<strong>auf</strong>hebung und vom Weg zur Leidens<strong>auf</strong>hebung.<br />

(vgl. An<strong>der</strong>son, 1983: 39ff; Schumann, 1976: 59ff) Diese «Vier<br />

Wahrheiten» stellen sozusagen das buddhistische Glaubensbekenntnis<br />

dar.<br />

In <strong>der</strong> ersten Wahrheit definiert Buddha das Leiden: leidhaft<br />

sind Geburt, Alter, Krankheit, Tod, Trauer, Jammer, Schmerz,<br />

Gram, Verzweiflung, mit Unliebem vereint und vom Lieben getrennt<br />

sein, Begehrtes nicht erlangen; kurz: die «fünf Daseinsfaktoren»<br />

(vgl. Schumann 1976: 60ff) sind leidhaft. Diese «fünf<br />

Daseinsfaktoren» sind Körper, Empfindung, Wahrnehmung,<br />

Geistesregungen und Bewusstsein. Sie konstituieren gemäss<br />

buddhistischer Auffassung die Persönlichkeit des menschlichen<br />

Individuums – d. h. in ihnen ist alles enthalten, was das menschliche<br />

Wesen ausmacht. Diese Bestandteile <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />

sind deshalb leidhaft, weil – erstens – mit ihrem Vorhandensein<br />

die vom Leben untrennbaren, an sich Leid implizierenden Phänomene<br />

Geburt, Krankheit, Verlangen, Sympathie und Antipathie<br />

sich verbinden und weil sie – zweitens – vergänglich sind.<br />

Aus <strong>der</strong> geistigen Identifikation mit diesen «fünf Daseinsfaktoren»<br />

resultiert für das Individuum Leiden. Daraus erfolgt die<br />

Konsequenz, dass die menschliche Existenz an sich leidhaft und<br />

vergänglich ist.<br />

Da die «fünf Daseinsfaktoren» bzw, die fünf Bestandteile <strong>der</strong><br />

Persönlichkeit dem Gesetz des Vergehens unterworfen sind, ergibt<br />

sich daraus eine weitere folgenreiche, für das Verständnis<br />

des Buddhismus sehr wesentliche Schlussfolgerung, nämlich die<br />

Nicht­Existenz vom «Selbst» bzw. «Ich». «Die Person ist demnach<br />

ohne Seele, sie ist Nicht­Selbst, bloss empirische Person, nichts<br />

Wesenhaftes.» (Schumann, 1976: 65) Buddha hat jedoch die Existenz<br />

einer Psyche im Sinne von emotionalen Regungen mit dem<br />

daraus entstehenden Ich­Gefühl nicht abgestritten, son<strong>der</strong>n betrachtet<br />

sie als das Ergebnis <strong>der</strong> Wechselbeziehung zwischen den<br />

vier nicht­physischen Komponenten <strong>der</strong> Persönlichkeit. Er hat<br />

hingegen die Existenz einer «unsterblichen Seelen­Entität»<br />

(Schumann, 1976: 65), die den Tod überdauert, bestritten. Da <strong>der</strong><br />

buddhistischen Grundannahme zufolge alles im ständigen Wandel<br />

begriffen ist, ist es sinnlos zu erwarten, dass irgend etwas, sei<br />

es <strong>der</strong> menschliche Körper, <strong>der</strong> Bewusstseinszustand, die Beziehungen<br />

o<strong>der</strong> sogar die Welt, von einem Augenblick zum nächsten<br />

noch genau dasselbe ist. (vgl. An<strong>der</strong>son, 1983: 26f) Vergänglichkeit,<br />

Leidhaftigkeit und Nicht­Selbstheit sind, grob formuliert,<br />

die drei buddhistischen Kennzeichen des Individuums und <strong>der</strong><br />

Welt respektive <strong>der</strong> Gesellschaft. Die Einsicht in diese Kennzeichen<br />

<strong>der</strong> Persönlichkeit wird für das Individuum dadurch erleichtert,<br />

indem es sich selbst gegenüber einen objektiven Stand<br />

einnimmt.<br />

Mit dem Tod ist das menschliche Dasein keineswegs zu Ende,<br />

denn dem Tod eines unerlösten menschlichen Individuums folgt<br />

nach buddhistischer Annahme unausweichlich seine Wie<strong>der</strong>geburt,<br />

in <strong>der</strong> das Leiden des Werdens und Vergehens sich wie<strong>der</strong>holt.<br />

«Geborenwerden und Sterben und wie<strong>der</strong> Geborenwerden,<br />

das ist <strong>der</strong> Kreisl<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Existenzen.» (Schumann, 1976: 71)<br />

Die Ursache <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburt und somit des Leidens ist <strong>der</strong><br />

Inhalt <strong>der</strong> zweiten Wahrheit, nämlich <strong>der</strong> Wahrheit von <strong>der</strong> Leidensentstehung.<br />

(vgl. Schumann, 1976: 76ff) Unwissenheit bzw.<br />

Nichtkenntnis <strong>der</strong> «Vier Wahrheiten», Hass und Gier sind die Ursachen<br />

allen Leidens sowie die treibende Kraft des leidvollen<br />

Kreisl<strong>auf</strong>s <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten. Buddha hat drei Arten von Gier<br />

unterschieden: Gier nach Lust, nach Werden und nach Vernichtung.<br />

Die stärkste davon ist die Gier nach Lust, da sie auch die<br />

sexuelle Begierde sowie den Wunsch nach Genuss und Besitz einschliesst.<br />

Selbst die Befriedigung <strong>der</strong> Gier bedeutet Leiden, da<br />

sie vergeht und zum Kummer des Verlustes führt. Die Gier nach<br />

Werden ist die Gier nach weiteren Wie<strong>der</strong>geburten, wodurch das<br />

Wesen sich an den leidvollen Kreisl<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Existenzen bindet,<br />

den es eigentlich zu überwinden gilt. Diese Gier nach Werden<br />

lässt sich mit Schopenhauers «Willen zum Leben» vergleichen.<br />

Die Gier nach Vernichtung ist <strong>der</strong> Wunsch, das Unangenehme zu<br />

beseitigen o<strong>der</strong> zu vermeiden. In beson<strong>der</strong>er Bedeutung ist die<br />

95 | Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> Unterrichtseinheit <strong>Exil</strong> <strong>Schweiz</strong>, <strong>Tibeter</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Flucht</strong> | 96

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