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Stand der Ursachen - Mitteldeutsche Psychiatrietage 2011

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Symposiumsvortrag 10.09.<strong>2011</strong> 14:30:00<br />

X. Forensik-Symposium: Mör<strong>der</strong> können wir alle werden - forensisch psychophathologische Aspekte des Int<br />

Neonatizid – die Tötung des Neugeborenen<br />

A. Rohde, A. Marneros, Bonn<br />

Die Tötung eines Neugeborenen ist in seltenen Fällen <strong>der</strong> Endpunkt einer nicht wahrgenommen, verheimlichten,<br />

verdrängten o<strong>der</strong> vollständig verleugneten Schwangerschaft, zusammenfassend als negierte Schwangerschaft<br />

bezeichnet. Es ist von 20 bis 40 Fällen pro Jahr in Deutschland auszugehen (bei unklarer Dunkelziffer), in denen<br />

ein Neugeborenes entwe<strong>der</strong> direkt nach <strong>der</strong> heimlich stattgefundenen Geburt von <strong>der</strong> Mutter getötet wird o<strong>der</strong><br />

durch Umstände wie z.B. einer Aussetzung zu Tode kommt. Wurde die vorherige Schwangerschaft von <strong>der</strong> Frau<br />

negiert, kann ein breites Spektrum von <strong>der</strong> bewussten Verheimlichung bis hin zur vollständigen nicht-bewussten<br />

Verdrängung vorliegen. Dabei sind verdrängte Schwangerschaften viel häufiger als üblicherweise angenommen:<br />

Bei ca. 1 von 475 Geburten wurde erst spät in <strong>der</strong> Schwangerschaft o<strong>der</strong> sogar erst kurz vor bzw. während <strong>der</strong><br />

Geburt diese als solche wahrgenommen.<br />

In einer eigenen Untersuchung wurden zwei Gruppen von Frauen miteinan<strong>der</strong> verglichen: zum Einen Frauen, die<br />

wegen <strong>der</strong> Tötung ihres Neugeborenen im Rahmen eines Strafverfahrens psychiatrisch von den Autoren<br />

begutachtet wurden (Neonatizid-Gruppe = NN, N=14, Durchschnittsalter = 22.8 J) und zum an<strong>der</strong>en Frauen, die<br />

mit einer bis dahin negierten Schwangerschaft in <strong>der</strong> Gynäkologischen Psychosomatik am Zentrums für<br />

Geburtshilfe und Frauenheilkunde des Bonner Universitätsklinikums vorstellig wurden (klinische Gruppe = KG,<br />

N=10, Durchschnittsalter = 23.4 J).<br />

Zwischen den beiden Gruppen anden sich weit mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede. So zeigte sich<br />

beispielsweise, dass die Dynamik <strong>der</strong> Negierung in beiden Gruppen typischerweise durch ein mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

bewusstes Ignorieren <strong>der</strong> Schwangerschaft und durch Vermeidung von damit assoziierten Informationen<br />

gekennzeichnet war. Auch hinsichtlich <strong>der</strong> Persönlichkeit ähnelten sich die Frauen: obwohl sie teilweise auf den<br />

ersten Blick durchaus offen und selbstbewusst wirkten, zeigte sich dahinter meist ein Muster von Gehemmtheit<br />

und Introversion. Zusätzlich fanden sich defizitäre Kommunikationsmuster im Zusammenhang mit Problemen o<strong>der</strong><br />

negativen Gefühlen. eine aktive Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Situation o<strong>der</strong> dem Gefühlszustand findet praktisch<br />

nicht statt. Auf dieser Grundlage scheint sich in Kombination mit psychosozialen Belastungsfaktoren wie z.B.<br />

konflikthaften Partnerschaftskonstellationen, Angst vor <strong>der</strong> Reaktion <strong>der</strong> Umwelt (insbeson<strong>der</strong>e Partner & Eltern),<br />

Stress im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Arbeitsplatzsituation etc., die Negierung <strong>der</strong> Schwangerschaft entwickelt zu<br />

haben.<br />

Ein Unterschied zwischen den beiden Gruppen fand sich vor allem im Hinblick auf vorherige Erfahrungen mit<br />

Schwangerschaften bzw. Geburten. Die Frauen <strong>der</strong> klinischen Gruppe waren überwiegend erstmals schwanger,<br />

während in <strong>der</strong> forensischen Gruppe ein Großteil <strong>der</strong> Frauen bereits im Vorfeld schon einmal schwanger gewesen<br />

war. Entgegen <strong>der</strong> weit verbreiteten Annahme, dass Neonatizid-Täterinnen meist Erstgebärende sind, hatten sie in<br />

dieser Studie mehr Schwangerschafts- und Geburtserfahrungen.<br />

Dass in <strong>der</strong> kritischen Situation <strong>der</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger überraschenden Geburt auch situative Faktoren einen<br />

erheblichen Einfluss ausüben können, zeigt die Einzelfallanalyse. Nicht selten spielen letzten Endes auch Zufälle<br />

eine Rolle dabei, wie die die Schwangerschaft endet.<br />

8. <strong>Mitteldeutsche</strong> <strong>Psychiatrietage</strong> | 52

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