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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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Vergangenheitsbewältigung auf Bulgarisch 181<br />

In der einen Koalitionspartei der gegenwärtigen Regierung sind die Hälfte aller Minister<br />

ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit. In der anderen Koalitionspartei sind es alle. 22<br />

Rückendeckung erhielt er dabei überraschenderweise vom Verfassungsgericht, das<br />

im März 2012 eine Kehrwende weg von seiner bis dahin lustrationsfeindlichen<br />

Rechtsprechung vollzog <strong>und</strong> den Präsidenten bei seinen Bemühungen um eine Säuberung<br />

des diplomatischen Dienstes von ehemaligen Stasi-Spitzeln unterstützte. 23<br />

Das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten bildet damit die Ausnahme von<br />

der bulgarischen Regel.<br />

Aber auch die strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen anderer Teile des kommunistischen<br />

Repressionsapparates, also der Justiz, der Miliz, der Armee, der „roten<br />

Barette“ – das sind Spezialtruppen des Innenministeriums – sowie der Verwaltungen<br />

der circa 50 Zwangsarbeits- <strong>und</strong> Umerziehungslager, durch die eine geschätzte Viertelmillion<br />

Menschen gegangen ist, ist defizitär. Relativ zügig nach der politischen<br />

„Wende“ von 1989 wurde immerhin die repressive Gesetzgebung aus der Stalinzeit<br />

aufgehoben. Dies betraf Enteignungen <strong>und</strong> Zwangsumsiedlungen, jedoch zunächst<br />

nicht die Willkürurteile des berüchtigten Volksgerichtshofs der Jahre 1944/1945 sowie<br />

die Opfer des kommunistischen Terrors in den ersten Tagen nach dem Einmarsch<br />

der Roten Armee am 9. September 1944. 24 Eher symbolischen Charakter trugen<br />

„De-Kommunisierungs-Gesetze“, so etwa das „Gesetz zur Erklärung des kommunistischen<br />

Regimes in Bulgariens als verbrecherisch“ vom Dezember 1992. 25<br />

Ilija Trojanows aktueller Bestseller-Roman Macht <strong>und</strong> Widerstand liefert erschreckende<br />

Einblicke sowohl in die grausamen bulgarischen Lagerregime wie in das<br />

Ausbleiben bzw. Scheitern einer juristischen Aufarbeitung nach 1989. 26 Während<br />

die in den Lagern der Stalinzeit verübten Verbrechen nach bulgarischem Recht 1990<br />

bereits verjährt waren, galt dies nicht für das, was im Frauen-Arbeitslager Skravena<br />

sowie in einem Steinbruch bei Loveč, in dem Männer Zwangsarbeit leisten mussten,<br />

geschah. Beide Lager waren von 1959 bis 1962 „in Betrieb“. Ebenfalls zu nennen<br />

sind das Gefangenenbergwerk Kucijan in Pernik sowie vor allem das große Arbeits-<br />

22 Gespräch Staatspräsident Rosen Plevnelievs mit der Delegation der B<strong>und</strong>esstiftung zur Aufarbeitung<br />

der SED-Diktatur am 24. Juni 2013 in seinem Sofijoter Amtssitz. Eigene Mitschrift. In: Archiv<br />

S. Troebst.<br />

23 Vgl. Klaus Schrameyer: Die Rechtssprechung des bulgarischen Verfassungsgerichts zum Stasi-Unterlagengesetzt.<br />

In: Osteuropa-Recht 58 (2012), H. 3, S. 54–66; ders.: Bulgariens Stasi-Diplomaten.<br />

In: Europäische R<strong>und</strong>schau 39 (2011), H. 1, S. 93–109.<br />

24 Vgl. dazu Iskra Baeva/Evgenija Kalinova/Nikolaj Poppetrov: Die kommunistische Ära im kollektiven<br />

Gedächtnis der Bulgaren. In: Stefan Troebst (Hrsg.): Postdiktatorische Geschichtskulturen im<br />

Süden <strong>und</strong> Osten Europas. Bestandsaufnahme <strong>und</strong> Forschungsperspektiven. Göttingen 2010, S. 405–<br />

501, hier S. 422–426; Luleva: Transitional Justice, S. 119–122.<br />

25 Vgl. Klaus Schrameyers: Das bulgarische Parlament erklärt das kommunistische Regime für verbrecherisch.<br />

In: Südosteuropa 49 (2000), S. 624–628. – In ebd., S. 626–628, findet sich eine deutsche<br />

Übersetzung des Gesetzes.<br />

26 Vgl. Ilija Trojanow: Macht <strong>und</strong> Widerstand. Roman. Frankfurt a. M. 2015; auch ders.: Die fingierte<br />

Revolution. Bulgarien, eine exemplarische Geschichte. 2 München 2006, S. 238–249 (Kapitel: Die<br />

Macht kommt aus den Dossiers).<br />

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