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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert? 205<br />

neuen Großmacht im Osten möglicherweise mehr entgegen als der unkoordinierte<br />

Aktionismus der finnischen Kommunisten.<br />

Für eine solche Annahme spricht, dass diese zurückhaltende, ja geradezu minimalistische<br />

sowjetische Finnlandpolitik in einem weitgehend störungsfreien internationalen<br />

Umfeld im Norden Europas vonstattengehen konnte. Die konkreten Schritte<br />

der UdSSR gegenüber Helsinki stimmten mit dem 1943 geformten Bild überein,<br />

das man in Washington <strong>und</strong> London von den Methoden Stalin’scher Finnlandpolitik<br />

<strong>und</strong> von ihren mutmaßlichen Zielen besaß; westliche Interventionen fanden hier<br />

also nicht statt, was wiederum eine Erhöhung des sowjetischen Drucks auf Finnland<br />

überflüssig machte. Jeder der beiden Hauptakteure – Westalliierte <strong>und</strong> sowjetische<br />

Führung – verhielt sich ganz überwiegend so, wie es der jeweils andere erwartete:<br />

Irritationen, andernorts die Regel, blieben die Ausnahme; abrupte Kurswechsel aufgr<strong>und</strong><br />

fehlgedeuteter Aktionen der Gegenseite fanden überhaupt nicht statt. Seit 1944<br />

also nahm sich die westliche wie die östliche Finnlandpolitik in der Sicht des jeweils<br />

anderen als weitgehend transparent <strong>und</strong> damit als berechenbar aus. Die Spirale wechselseitiger<br />

Fehlperzeptionen, die die Eskalation zwischen Ost <strong>und</strong> West Ende der<br />

vierziger Jahre bewirkte, setzte sich im finnischen Fall nicht in Bewegung. Im Rahmen<br />

des offensiven Sicherungskonzeptes, wie es die Sowjetunion praktisch zeit ihrer<br />

Existenz verfolgt hat, stellte Finnland daher zwar in der Tat einen Sonderfall, aber<br />

keineswegs eine Ausnahme von der Regel dar. Und was die historische Forschung<br />

zur sowjetischen Deutschlandpolitik unlängst noch einmal eindrücklich belegt hat,<br />

dass nämlich wenn nicht alle, so doch alle entscheidenden Weichenstellungen auf<br />

persönliche Entscheidungen Stalins zurückgingen – diese Erkenntnis scheint auch für<br />

Finnland zu gelten. Dem Bild, das Stalin von Finnland, seiner Bevölkerung, seiner<br />

politischen Klasse <strong>und</strong> ihren Vertretern gehabt hat, dürfte daher bei der Beantwortung<br />

dieser noch offenen Frage zentrale Bedeutung zukommen. 40<br />

Der Stalin-Biograph Isaac Deutscher hat es „einen der bösartigen Streiche der<br />

Geschichte“ 41 genannt, dass derselbe Stalin, der im November 1917 in seiner Eigenschaft<br />

als sowjetrussischer Volkskommissar für Nationalitätenfragen die finnische<br />

Unabhängigkeitserklärung sanktionierte, 42 1939 den Befehl zum Angriff der Roten<br />

Armee auf Finnland gab. So gesehen wäre es eine Ironie der Geschichte, wenn –<br />

worauf die bislang zugänglichen Moskauer Quellen zur sowjetischen Finnlandpolitik<br />

deuten – es wiederum Stalin war, der das zunächst verfolgte Ziel einer Sowjetisierung<br />

Finnlands aufschob <strong>und</strong> später ganz durch die Neutralisierungsvariante ersetzte.<br />

„What puzzles us Americans is why the Soviet Union has allowed Finland to retain<br />

her independence“ 43 äußerte US-Präsident John F. Kennedy im Jahr des Baus<br />

40 Vgl. den Überblick bei Constantine Pleshakov: Joseph Stalin’s World View, in: Thomas G. Paterson,<br />

Robert J. McMahon (Eds.): The Origins of the Cold War. Lexington, MA, 1991, S. 60–72.<br />

41 Isaac Deutscher: Stalin. A Political Biography. Harmondsworth 1960, S. 434.<br />

42 „Den Finnen wie allen anderen Völkern Rußlands ist volle Freiheit zur Gestaltung ihres eigenen<br />

Lebens gegeben worden! [. . . ] Keine Bevorm<strong>und</strong>ung, keine Kontrolle von oben über das finnische<br />

Volk!“ Ebd., S. 187.<br />

43 Zit. nach John Lukacs: Finland Vindicated, in: Foreign Affairs, 71 (1992), H. 4, S. 50–63, hier S. 50.<br />

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