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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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Herz, Darm <strong>und</strong> DDR – Arno Schmidt 1956 299<br />

kanischen Mainstream-Themas der Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen<br />

Ostgebieten, vor allem aber aufgr<strong>und</strong> des Wortwitzes, der Ironie <strong>und</strong> des Sarkasmus<br />

seiner Prosa in der Rückschau nur teilweise verständlich. Sicher waren das Druckbild,<br />

die partiell phonetische Schreibung sowie der Wechsel zwischen Hoch- <strong>und</strong><br />

Umgangssprache, gar die Verwendung deutscher Dialekte wie Hannöversch, Schlesisch<br />

<strong>und</strong> Berlin(er)isch ungewöhnlich <strong>und</strong> daher dem Lesepublikum ungewohnt.<br />

Aber zumal angesichts des kometenhaften Aufstiegs Uwe Johnsons, der auf seinem<br />

schwerfüßigem, stellenweise manieriertem sowie gänzlich humorfreiem Roman<br />

Mutmaßungen über Jakob von 1959 beruhte, nimmt sich der literarische wie kommerzielle<br />

Nicht-Erfolg des Schmidt’schen Steinernen Herzens als schwer erklärlich<br />

aus. Denn beiden, Johnson wie Schmidt, war ein eigener Stil, gar eine eigene Sprache<br />

eigen; beide haben die deutsche Teilung realitätsnah zu einer Zeit thematisiert,<br />

als dies gänzlich unüblich war; <strong>und</strong> beide haben die DDR literarisch „anerkannt“ <strong>und</strong><br />

sie somit als Gegenstand in der b<strong>und</strong>esdeutschen Literatur gleichsam salonfähig gemacht.<br />

Sicher, der eine hatten den Suhrkamp Verlag mit dem energischen Verleger<br />

Siegfried Unseld im Rücken, aber der Stahlberg Verlag war damals auch eine Marke,<br />

wenngleich eine ohne starke Verlegerpersönlichkeit.<br />

Bleibt als Erklärung wohl nur eine politische: Schmidts aggressiver Antimilitarismus,<br />

Antiklerikalismus <strong>und</strong> Atheismus. Das war im „Granatenwestdeutschland“<br />

(162) des von Schmidt regelrecht perhorreszierten <strong>und</strong> als „Minderer des<br />

Reichs. Dafür Fidei Defensor!“ (63) betitelten „Dr. Adenauer“, der, wie es in der<br />

Originalfassung des Steinernen Herzens (aber nicht in der verlagsseitig zensierten<br />

Druckfassung von 1956) hieß, „seine Direktiven noch stärker vom Vatikanrom als<br />

von Washington empfängt“ (82), <strong>und</strong> von „,B<strong>und</strong>espräsident Professor Heuss’: die<br />

Hindenburgstimme, wie sie nur durch lebenslangen Genuß schwerster Zigarren erzielt<br />

wird“ (103), dann wohl doch zu viel. Da passte der dezidiert DDR-kritische<br />

Johnson deutlich besser in die politische Landschaft als der diesbezüglich ambivalente<br />

Schmidt. Und dass der rechtskonservative B<strong>und</strong> der Heimatvertriebenen <strong>und</strong><br />

Entrechteten in der B<strong>und</strong>esrepublik, schon gar die erzkatholische Landsmannschaft<br />

Schlesien, mit dem aus Niederschlesien vertriebenen militanten Atheisten Schmidt<br />

nicht nur wenig, sondern gar nichts anfangen konnte, versteht sich von selbst. 62<br />

„Arno Schmidts Bücher“, so Jan Philipp Reemtsma, „hätten auf keinem Vertriebenentreffen<br />

herumgereicht werden können“, da „sie sich zur politischen Instrumentalisierung<br />

nicht eigneten.“ 63 Nicht zuletzt von diesem Versäumnis her rührt<br />

die vom 1957 gegründeten B<strong>und</strong> der Vertriebenen bis heute propagierte Sichtweise,<br />

62 Ahonen, Pertti: Landsmannschaft Schlesien. In: Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung<br />

<strong>und</strong> ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Hrsg. v. Detlef Brandes, Holm<br />

S<strong>und</strong>haussen u. Stefan Troebst in Verbindung mit Kristina Kaiserová u. Krzysztof Ruchniewicz.<br />

Wien, Köln, Weimar 2010, S. 377–378. Vgl. auch Strothmann, Dietrich: „Schlesien bleibt unser“:<br />

Vertriebenenpolitiker <strong>und</strong> das Rad der Geschichte. In: Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten.<br />

Ursachen, Ereignisse, Folgen. Hrsg. v. Wolfgang Benz. Frankfur/M. 1985, S. 209–218.<br />

63 Reemtsma: Die Fremden, S. 317.<br />

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