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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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182 Balcanica<br />

<strong>und</strong> Umerziehungslager Belene auf der Donau-Insel Persin, in dem von 1949 bis<br />

1953 <strong>und</strong> von 1956 bis 1959 Zwangsarbeiter einsaßen <strong>und</strong> das 1984 wiedereröffnet<br />

wurde. 27<br />

Ein ebenso paradigmatisches wie prominentes Beispiel strafrechtlicher Verfolgung<br />

à la bulgare ist der Fall des Parteichefs der Jahre 1954 bis 1989, Todor Živkov,<br />

der seit 1962 überdies Staatschef war. 28 Nachdem er am 10. November 1989<br />

von seinen Politbürokollegen „mit Dank“ seiner Funktionen erhoben worden war,<br />

wurde er bereits im Januar 1990 wegen „Anstiftung zu Rassismus <strong>und</strong> zu nationaler<br />

Feindseligkeit“ – gemeint ist die gewaltsame Kampagne zur Namensänderung der<br />

bulgarischen Türken um 1984/1985 <strong>und</strong> die Repression des Protestes der Zwangsumbenannten<br />

1989 – angeklagt <strong>und</strong> in Untersuchungshaft genommen. Zu einem Prozess<br />

kam es nicht, da das Oberste Gericht die Anklage wegen Unvollständigkeit nicht weniger<br />

als vier Mal an die Militärstaatsanwaltschaft zurückverwies, <strong>und</strong> dies, obwohl<br />

über 400 Zeugen benannt worden waren. Im Februar 1991 wurde Živkov dann wegen<br />

unberechtigter Vergabe von Wohnungen, Autos <strong>und</strong> Geld der Prozess gemacht,<br />

im Ergebnis dessen das Oberste Gericht ihn im September 1992 zu einer siebenjährigen<br />

Haftstrafe sowie zu einer hohen Geldstrafe verurteilte. Im Zuge der Revision<br />

wurde das Urteil zwar im Januar 1994 zunächst bestätigt, doch im Februar 1996 aufgehoben.<br />

In der <strong>Zwischen</strong>zeit waren weitere Prozesse gegen Živkov, etwa angesichts<br />

des Kollapses der bulgarischen Wirtschaft oder wegen seiner Mitschuld am Tod von<br />

Lagerhäftlingen, im Sande verlaufen.<br />

Insgesamt endete das juristische Vorgehen gegen Živkov, das maßgeblich seine<br />

weiterregierenden ehemaligen Kollegen im Politikbüro der Bulgarischen Kommunistischen<br />

Partei – die sich jetzt Bulgarische Sozialistische Partei nannte – orchestrierten,<br />

in einem Fiasko. Der Plan, Živkov die Hauptschuld, gar die Alleinschuld<br />

an systematischen Menschenrechtsverletzungen sowie an dem ökonomischen Desaster<br />

der Parteidiktatur zuzuschieben, scheiterte grandios. Der „Vandale aus Pravec“,<br />

wie ihn nicht nur die politische Opposition, sondern auch seine früheren Genossen<br />

unter Bezug auf seinen Geburtsort nannten, erwies sich zwar nicht als der gute Landesvater<br />

„Onkel Tošo“, zu dem er sich selbst stilisierte, aber doch als bauernschlauer<br />

27 Vgl. zu Belene Ana Luleva: Commemorating the Communist Labour Camps: Is a New Memory<br />

Culture Possible? In: Ana Luleva/Ivanka Perova/Slavia Barlieva (Hrsg.): Contested Heritage and<br />

Identities in Post-Socialist Bulgaria. Sofia 2015, S. 60–89; Ivajlo Znepolski: Bez sleda? Lagerăt Belene<br />

1949–1959 i sled tova . . . [Spurlos? Das Lager Belene 1949–1959 <strong>und</strong> danach]. Sofia 2009;<br />

Daniela Koleva: Belene – mjasto na pamet? Antropologična anketa [Belene – ein Erinnerungsort?<br />

Eine anthropologische Enquete]. Sofia 2010 (dort S. 28 Hinweise zur Memoirenliteratur); Tzvetan<br />

Todorov: Au nom du peuple. Témoignages sur les camps communiste [Im Namen des Volkes. Zeugnisse<br />

über die kommunistischen Lager]. La Tour-d’Aignes 1992 sowie Iskra Baeva/Stefan Troebst<br />

(Hrsg.): Vademecum Contemporary Bulgaria. A Guide to Archives, Research Institutions, Libraries,<br />

Associations, Museums and Sites of Memory. Berlin, Sofia 2007, S. 77.<br />

28 Vgl. zum Folgenden Iskra Baeva/Evgenija Kalinova/Nikolaj Poppetrov: Die kommunistische Ära im<br />

kollektiven Gedächtnis der Bulgaren. In: Stefan Troebst (Hrsg.): Postdiktatorische Geschichtskulturen<br />

im Süden <strong>und</strong> Osten Europas. Bestandsaufnahme <strong>und</strong> Forschungsperspektiven. Göttingen 2010,<br />

S. 415–422.

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