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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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Die „Griechenlandkinder-Aktion“ 1949/1950 277<br />

den Jahren 1941 bis 1944 erlebt, während der Wehrmacht- <strong>und</strong> SS-Einheiten griechische<br />

Zivilisten nach Gutdünken inhaftierten, folterten <strong>und</strong> erschossen sowie im Zuge<br />

von Strafaktionen ganze Dörfer niederbrannten. 89 Entsprechend war es Andreas Stergiou<br />

zufolge für etliche Kinder, die 1949/1950 in albanischen <strong>und</strong> bulgarischen Waisenhäusern,<br />

Heimen <strong>und</strong> Internaten lebten, „ein Schock, zu erfahren, dass sie nach<br />

Deutschland mussten.“ 90 Seitens der DDR-Behörden wurde die Deutschenfeindlichkeit<br />

unter den Flüchtlingskindern mit einem Tabu belegt, so dass sich in offiziellen<br />

Quellen kein unmittelbarer Niederschlag findet. Eine Ahnung von der Hilflosigkeit<br />

der deutschen Betreuer im Umgang mit diesem Problem vermittelt aber der Bericht<br />

eines Mitarbeiters der Volkssolidarität, dessen Frau als Erzieherin im Radebeuler<br />

Heimkombinat tätig war:<br />

Anfangs war es schwer mit den Kindern zurechtzukommen. Sie kamen hier nach Deutschland<br />

<strong>und</strong> trafen uns als Deutsche, die sie in Griechenland im Krieg als Gegner kannten.<br />

[. . . ] Meine Frau berichtete mir, dass sie die Erzieher anfangs spielerisch als ihre Gefangenen<br />

behandelt haben <strong>und</strong> sie im Spiel an den Baum banden. Und obwohl dies – wie gesagt –<br />

nur ein Spiel war, bekam man manchmal ein wenig Angst. 91<br />

Der Fall der offiziell damals so genannten „Griechenlandkinder“ belegt augenfällig,<br />

was Jan C. Behrends, Dennis Kuck <strong>und</strong> Patrice G. Poutrus in einem 2000 veröffentlichten<br />

Thesenpapier über „Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den<br />

neuen B<strong>und</strong>esländern“ konstatiert haben, nämlich dass Konflikte zwischen Deutschen<br />

<strong>und</strong> „Fremden“ tabuisiert waren, sich entsprechend „keine Konfliktkultur <strong>und</strong><br />

keine gesellschaftliche Toleranz entwickeln“ konnten. Stattdessen waren Partei <strong>und</strong><br />

Staat bemüht, „durch die Kasernierung der ‚Fremden‘ die Kontaktfelder zu minimieren.“<br />

92 Die Aversion gegen Deutschland <strong>und</strong> die Deutschen führte in Kombination<br />

mit der rigiden Durchsetzung deutscher Erziehungsideale wie Ruhe, Ordnung, Sauberkeit,<br />

Tischsitten u. a. bei den durch Verlust der Familie, durch Krieg, Flucht,<br />

Vertreibung, Unterernährung <strong>und</strong> Krankheiten traumatisierten Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

in vielen Fällen zu erheblichen Konflikten mit ihren deutschen Erziehern,<br />

Lehrern <strong>und</strong> Ausbildern. Entsprechend drang der ständige Vertreter der KKE in der<br />

DDR, Georgiou, mehrfach darauf, „Mütter“, d. h. ältere Mädchen <strong>und</strong> junge Frauen,<br />

aus den Flüchtlingsunterkünften in den Volksdemokratien nach Radebeul zu schicken,<br />

um den hier lebenden Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen emotionalen Halt zu geben. 93<br />

89 Zu Strafaktionen der Wehrmacht in Griechenland siehe exemplarisch die Übersicht für den Zeitraum<br />

November 1943 bis Mai 1944 bei Fleischer, Hagen: Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland<br />

1941–1944 (Okkupation – Resistance – Kollaboration). Frankfurt/M. u. a. 1986, Bd I, S. 363.<br />

90 Stergiou: Die Beziehungen zwischen Griechenland <strong>und</strong> der DDR, S. 38.<br />

91 VI. Interview (Herr Noak – Dresden) ehemaliger Mitarbeiter der Volkssolidarität. In: Rosjat: Die<br />

griechischen Bürgerkriegsflüchtlinge, S. 57.<br />

92 Behrends, Jan C., Dennis Kuck, Patrice G. Poutrus: Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit<br />

in den neuen B<strong>und</strong>esländern. In: Aus Politik <strong>und</strong> Zeitgeschichte 2000, B 39, S. 15–21, hier S. 15.<br />

Dass. in Behrends, Lindenberger, Poutrus (Hrsg.): Fremde <strong>und</strong> Fremd-Sein in der DDR, S. 327–333.<br />

93 Stergiou: Die Beziehungen zwischen Griechenland <strong>und</strong> der DDR, S. 39.<br />

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