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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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Herz, Darm <strong>und</strong> DDR – Arno Schmidt 1956 295<br />

men!)“ (83), darunter die Schmidts. Und neben der Propaganda der Staatspartei<br />

<strong>und</strong> der defizitären Versorgungslage in der DDR – „H[andels]O[rganisation] = vom<br />

Staat organisierter Schwarzer Mark: bissige Preise <strong>und</strong> beamtenhaft faule Bedienung“<br />

(81) – stieß er sich ganz besonders an der SED-Kunst- <strong>und</strong> Kulturpolitik:<br />

Denn in künstlerischer Hinsicht ist im Osten tatsächlich noch weniger ‚los‘, als im doch<br />

auch schon lächerlich dürftigen Westen. Kunst wäre so billig zu haben; <strong>und</strong> wird Euch Allen<br />

noch einmal teuer zu stehen kommen! Wie würdet Ihr auch im Westen als ‚frei‘ gelten<br />

müssen, wenn Ihr Euch eine hübsche Künstlerkolonie von 20 Mann hieltet; <strong>und</strong> die Echolosen<br />

getrost mal ein bißchen Unpopuläres sagen ließet. Aber wenn Ihr verlangt, daß auch<br />

jeder Künstler periodisch <strong>und</strong> gallionsfigurig sein Soll an linientreuem Kitt daher schwätzt:<br />

solange geltet Ihr bei allen guten Köpfen nur als brutal=komisch! (Und werdet langsam auf<br />

immer verdächtig: daß man mit Euch gar nicht arbeiten kann!) (89)<br />

Die von den DDR-Medien evozierten „glückstrahlenden Gesichter unserer Arbeitersänger,<br />

=tänzer, =dichter, <strong>und</strong> =musiker’, in denen jetzt ‚unaufhaltsam schöpferische<br />

Kräfte frei wurden‘“, hielt er für „ausgesprochen ekelhaft, wie nur je zur<br />

K[raft]d[urch]F[reude]=Gruppenzeit Hitlers!“ (92). Besonders eingehend lässt sich<br />

der unschwer als Alter Ego des Autors zu erkennende Ich-Erzähler Walter Eggers<br />

darüber aus, dass Wahlen in der DDR weder frei noch geheim seien, sie dies aber in<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik „ooch nich“ wären (96–98, hier 97). Und selbst bei dem Schmidt<br />

abgr<strong>und</strong>tief verhassten Thema „Militär“ blitzt sein kaustischer Humor hervor:<br />

Was giebts Neues im Osten? [. . . ] ‚Der junge Eisendecher [. . . ] hat gestern n Gestellungsbefehl<br />

für die kasernierte Volkspolizei gekriegt.‘ [. . . ] ‚Dann erst hat sich rausgestellt, daß<br />

der von irgend einer Weststelle gefälscht war: im Großversand, um die Bevölkerung der<br />

DDR zu beunruhigen!‘ [. . . ] Aber der Witz war noch nicht zu Ende): ‚Sie haben ihn dann<br />

trotzdem gleich da behalten: wo er einmal drauf eingerichtet war – ‘ (125).<br />

Dem Leser bleibt da das Lachen im Hals stecken.<br />

VIII.<br />

Noch bedrückender ist das, was Schmidts Figur Line Hübner, die in einer Laube<br />

im Ostberliner Stadtteil Adlershorst mehr hausende als wohnende Vertriebene aus<br />

Niederschlesien, dem Ich-Erzähler im Steinernen Herz über ihre Erlebnisse beim<br />

Rückzug der Wehrmacht aus Greiffenberg 1945, dem Einmarsch der Roten Armee<br />

dort 55 , dem Nachrücken von polnischer Miliz <strong>und</strong> Zivilbevölkerung, weiter über ihr<br />

mehr als zweijähriges Leben als „Halbsklavin“ (93) bzw. Mädchen für – buchstäb-<br />

55 Obwohl die sowjetischen Truppen bereits Mitte Februar 1945 bis auf 15 Kilometer auf Greiffenberg<br />

vorgerückt waren, verzögerte die in vollem Gange befindlichen Schlacht um Berlin die Einnahme<br />

der niederschlesischen Kleinstadt bis zum 8. Mai. Vgl. Huerkamp: „Die große Kartei“, S. 496, unter<br />

Bezug auf den Zeitzeugen Reinhart Fritsch.<br />

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