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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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204 Sovieto-Rossica<br />

sondern zugleich den Norden Europas zu einem Brennpunkt des Kalten Krieges gemacht<br />

hätte. Dadurch wäre die sprichwörtlich antagonistische Kooperation mit den<br />

westlichen Siegermächten zusätzlich belastet worden <strong>und</strong> hätte darüber hinaus unzweifelhaft<br />

Rückwirkungen auf die schwedische Neutralität gehabt. Dennoch kann<br />

das „Rätsel“ der ausgebliebenen Sowjetisierung Finnlands (Jukka Nevakivi 38 ) nicht<br />

als gelöst gelten. Denn eine der hier angerissenen zentralen Fragen ist noch immer<br />

offen <strong>und</strong> müsste daher vorrangig an das sowjetische Primärquellenmaterial gerichtet<br />

werden – warum es im Sommer 1944 ausschließlich die militärischen Sachzwänge<br />

gewesen sind, die die sowjetische Finnlandpolitik bestimmten, warum also nicht<br />

wie im zeitgleichen bulgarischen Fall <strong>und</strong> später in Ungarn ungeachtet der Priorität<br />

einer Niederwerfung des Hauptkriegsgegners Deutschland das politisch so vielversprechende<br />

Zwangsmittel der Besetzung zur Anwendung kam. Denn es war dieser<br />

Verzicht vom Sommer 1944, der sich, wie gezeigt, bald als eine nicht intendierte<br />

Weichenstellung mit weitreichenden politischen Konsequenzen erwies. Die Nicht-<br />

Präsenz sowjetischer Truppen in Finnland bewirkte in Kombination mit der eklatanten<br />

Schwäche der finnischen Kommunisten <strong>und</strong> der anti-russischen wie sowjetisierungsfeindlichen<br />

Einstellung der großen Mehrheit der Finnen (einschließlich großer<br />

Teile der Wählerklientel der KP), dass der politische Preis für eine Systemtransformation<br />

nach sowjetischem Vorbild außerordentlich hoch war. Dieser Preis hätte<br />

zweifelsohne in einem neuerlichen Krieg gegen Finnland bestanden – mit schwer<br />

berechenbaren internationalen Weiterungen. Dieses Wagnis einzugehen war die sowjetische<br />

Außenpolitik gemäß ihrem traditionell risikoscheuen Kalkül nicht bereit,<br />

<strong>und</strong> deshalb kam Option Nr. 4 – die „Finnlandisierung“ bzw. besser: die Neutralisierung<br />

Finnlands 39 – zur Anwendung.<br />

Die noch unbekannte Antwort auf die Frage nach der hinter der Entscheidung vom<br />

Sommer 1944 stehenden Interessenabwägung könnte zugleich den Schlüssel zu einer<br />

weiteren ungelösten Frage bieten, nämlich derjenigen, ob das Ausbleiben einer mit<br />

Mitteln direkter Einflussnahme herbeigeführten Systemtransformation möglicherweise<br />

nicht das Ergebnis einer Art Betriebsunfall sowjetischer Hegemonialpolitik,<br />

sondern viel eher das Resultat eines bewusst differenzierenden Vorgehens gewesen<br />

war. Denn wie aus den Papieren des Kontrollkommissionsvorsitzenden Ždanov herauszulesen<br />

ist, hat Stalin in dem ihm eigenen Stil sporadischen <strong>und</strong> nicht selten<br />

erratischen Eingreifens in zentrale Felder der Außenpolitik mit Blick auf Finnland<br />

offensichtlich stark auf ein Einvernehmen mit dem ihm persönlich seit langem bekannten<br />

Paasikivi gesetzt. Paasikivi, der zwischen 1920 <strong>und</strong> 1948 mehrfach <strong>und</strong> über<br />

lange Zeiträume der Verhandlungspartner Stalins gewesen war, galt in Moskau als<br />

glaubwürdiger Exponent einer finnischen Neutralitätspolitik. Die „Paasikivi-Kekkonen-Linie“<br />

einer sowohl die Interessen der Sowjetunion wie diejenigen Schwedens<br />

berücksichtigenden Neutralitätspolitik in Stalins Sicht kam dem Sekuritätsbedarf der<br />

38 Nevakivi, A Decisive Armistice, S. 93.<br />

39 Stefan Troebst: Finnland 1944–1948: Planmäßige Neutralisierung, in: Nordeuropa-Forum, 2 (1992),<br />

H. 3, S. 50–52.

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