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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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Warum wurde Finnland nicht sowjetisiert?<br />

[1998]<br />

1991, im Jahr der Implosion der Sowjetunion, hat ein finnischer Diplomat dem Lebensgefühl<br />

seiner Landsleute Ausdruck in einem bildhaften Vergleich gegeben: Die<br />

Finnen fühlten sich wie die Bewohner eines Einfamilienhauses, das Wand an Wand<br />

mit einem einstürzenden Wolkenkratzer steht. 1 Damit sind die Gr<strong>und</strong>tatsachen der<br />

Beziehungen Finnlands zu seinem östlichen Nachbarn präzise benannt: unmittelbare<br />

geographische Nähe samt langer Grenze sowie ein eklatantes Machtgefälle.<br />

Die Überlegenheit der russischen Seite vor allem im militärischen Bereich hatte zu<br />

sowjetischen Zeiten klar messbare politische Konsequenzen, aber auch Teile der politischen<br />

Klasse der heutigen Russländischen Föderation sehen in den Beziehungen<br />

zu Finnland ein ausgesprochen paternalistisches special relationship. Hinzu kommt<br />

die historische Dimension, war doch Finnland von 1809 bis 1917 als russisches<br />

Großfürstentum Teil des zarischen Vielvölkerreiches. Dies veranlasst großrussische<br />

Nationalisten wie Vladimir Žirinovskij oder Aleksandr Ruckoj bis heute dazu, Finnland<br />

als „russische Erde“ zu apostrophieren, die baldmöglichst „heimzuholen“ ist. 2<br />

Die Finnen haben darauf zum einen mit einer deutlichen Umorientierung nach<br />

Westen reagiert, darunter ein überraschend eindeutiges Ja zum EU-Beitritt, zum<br />

anderen aber mit dem Brechen zahlreicher politischer Tabus bezüglich der Beziehungen<br />

zum übermächtigen Nachbarn. Eine Vorreiterrolle kommt dabei der finnischen<br />

Russlandhistoriographie zu, die schon zu Perestrojka-Zeiten die Parole „Über die<br />

Russen darf man sprechen“ ausgab. 3 Das Hauptinteresse von historisch interessierter<br />

Öffentlichkeit <strong>und</strong> Geschichtsschreibung in Finnland gilt dabei der als „Jahre der<br />

Gefahr“ bezeichneten dramatischen Dekade von der Zuordnung Finnlands zur sowjetischen<br />

Einflusssphäre durch den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 bis zum sowjetischfinnischen<br />

Beistandsvertrag <strong>und</strong> der politischen Ausschaltung der finnischen Kommunisten<br />

1948. Und hier ist es wiederum die zentrale Frage nach den Gründen dafür,<br />

1 Botschaftsrat Taisto Tolvanen vom finnischen Außenministerium gegenüber einer Gruppe von Studierenden<br />

des Osteuropa-Instituts <strong>und</strong> des Fachs Skandinavistik der Freien Universität Berlin am<br />

9. Juli 1991 in Helsinki.<br />

2 So Ruckoj in einem Interview mit dem Fernsehsender „Euronews“ am 15. September 1994. Siehe<br />

auch die stilisierte Karte Russlands „in den Grenzen von 1900“ im Parteiwappen von Žirinovskijs<br />

Liberal-Demokratischer Partei. Auch prominente Diplomaten wie Julij Kvizinskij <strong>und</strong> Jurij Derjabin,<br />

letzterer unter dem Pseudonym „Jurij Komissarov“ Sprachrohr Brežnev’scher Finnlandpolitik<br />

<strong>und</strong> seit 1992 russländischer Botschafter in Helsinki(!), haben ähnlich altbekannte Töne angeschlagen.<br />

Vgl. dazu Julij Kwizinskij: Wir brauchen Atomwaffen! Warum sich Rußland bedroht fühlt –<br />

<strong>und</strong> dazu viel mehr Gr<strong>und</strong> hat als der Westen, in: Die Woche, 22.9.1995, S. 26; <strong>und</strong> Jörgen Detlefsen:<br />

Moskau wieder auf Einschüchterungskurs. Rußland will Souveränität Finnlands nur bedingt<br />

respektieren. Botschafter warnt Helsinki, in: Der Tagesspiegel, 8.3.1995, S. 6.<br />

3 Edgar Hösch: „Über die Russen darf man sprechen . . . “ Anmerkungen zu Neuerscheinungen der<br />

finnischen Rußlandhistoriographie, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 36 (1988), S. 80–90.<br />

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