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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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186 Balcanica<br />

staatlich beförderten Massenexodus von circa 370.000 Türken im Sommer 1989 als<br />

„eine Form der ethnischen Säuberung“ verurteilt hat. 37<br />

Die Funktion des Nationalismus als Palliativ für die Schmerzen der Transformation<br />

in Bulgarien zeigt sich in jüngster Vergangenheit in aller Schärfe an der<br />

Reaktion von Politik, Öffentlichkeit, Medien <strong>und</strong> nicht zuletzt der Geschichtswissenschaft<br />

auf solche Stimmen im Ausland, zunehmend aber auch im Inland, die den<br />

Anteil Bulgariens am Holocaust thematisieren. 38 Dabei ist die Verhaftung, Deportation<br />

<strong>und</strong> Vernichtung in Treblinka der circa 12.000 Juden aus den von Bulgarien<br />

zwischen 1941 <strong>und</strong> 1944 zunächst okkupierten, dann annektierten Gebieten Jugoslawiens<br />

<strong>und</strong> Griechenlands unter der Regie von bulgarischer Polizei, Armee <strong>und</strong><br />

Staatsbahn mittlerweile durchaus Bestandteil des Geschichtsbildes vieler Bulgaren.<br />

Was indes auf strikte Ablehnung, ja aggressive Verweigerung stößt, ist die Revidierung<br />

des von Todor Živkov persönlich mitkonstruierten Mythos von der „Rettung“<br />

der etwa 50.000 Juden Altbulgariens durch die kommunistische Partei bzw.<br />

das bulgarische Volk. Živkov hatte sich diesbezüglich gegen Ende seiner Amtszeit<br />

ernsthaft Chancen auf den Friedensnobelpreis ausgerechnet. 39 Der Verweis darauf,<br />

dass das bulgarische Parlament zwischen 1941 <strong>und</strong> 1943 etliche Gesetze zur Verbannung<br />

der Juden aus Städten in Dörfer, zur Konfiszierung ihrer Immobilien <strong>und</strong><br />

ihres Vermögens sowie zur Einweisung in Zwangsarbeitslager beschlossen hat; dass<br />

sich vor allem in Sofia <strong>und</strong> anderen Städten Bulgaren massenhaft Häuser, Wohnungen,<br />

Kunstwerke, Möbel, Hausrat <strong>und</strong> Autos ihrer verbannten jüdischen Nachbarn<br />

aneigneten 40 – das zu thematisieren wird mit Ächtung geahndet. 41<br />

Insofern ist die kollektive Reaktion auf dieses spezifische Unrecht vergleichbar<br />

mit derjenigen auf die Forderungen der Opfer des kommunistischen Regimes nach<br />

angemessener Entschädigung oder zumindest nach öffentlicher Anerkennung ihrer<br />

Leiden. Sie gelten als aus der Zeit gefallene Störer – siehe die Figur des Konstantin<br />

Scheitanow in Ilija Trojanows besagtem Roman Macht <strong>und</strong> Widerstand –, was auch<br />

37 Michael Martens: Sofia verurteilt Vertreibungen. Erklärung zu Unrecht an Türken. In: Frankfurter<br />

Allgemeine Zeitung vom 14. Januar 2012, S. 7.<br />

38 So ist zwar eine einschlägige Edition bulgarischer Quellen in fast allen Buchläden des Landes zu<br />

finden, doch gibt es keine öffentliche Debatte zum Thema. Vgl. Nadja Danova/Rumen Avramov<br />

(Hrsg.): Deportiraneto na evreite ot Vardarska Makedonija, Belomorska Trakija i Pirot, mart 1943g.<br />

Dokumenti ot bălgarskite archivi [Die Deportation der Juden aus Vardar-Makedonien, Ägäisch-Thrakien<br />

<strong>und</strong> Pirot im März 1993. Dokumente aus den bulgarischen Archiven], 2 Bde. Sofia 2013; Nadja<br />

Danova: Dălgata sjanka na minaloto [Der lange Schatten der Vergangenheit]. In: Liberalen Pregled<br />

vom 27. August 2013, URL: http://www.librev.com/index.php/discussion-bulgaria-publisher/2155 –<br />

2013-08-27-08-32-45, letzter Zugriff: 04.10.2016.<br />

39 Vgl. Tzvetan Tzvetanov: Bulgarien – Meilenstein einer kontroversen Selbstfindung. In: Monika Flacke<br />

(Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1. Berlin 2004, S. 95–116,<br />

hier S. 110.<br />

40 Vgl. Rumen Avramov: „Spasenie“ i padenie. Mikroikonomika na dăržavnija antisemitizăm v Bălgarija<br />

1940–1944g. [„Rettung“ <strong>und</strong> Fall. Mikroökonomie des staatlichen Antisemitismus in Bulgarien<br />

1940–1944]. Sofia 2012.<br />

41 Vgl. Stefan Troebst: Rettung, Überleben oder Vernichtung? Geschichtspolitische Kontroversen über<br />

Bulgarien <strong>und</strong> den Holocaust. In: Südosteuropa 59 (2011), H. 1, S. 97–127.

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