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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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Gemeinschaftsbildung durch Geschichtspolitik? 335<br />

[A]ls die neuen Mitgliedstaaten vor fünf Jahren beitraten, brachten wir unsere eigene Geschichte<br />

<strong>und</strong> unsere eigenen Geschichten mit; eine dieser tragischen Geschichten war der<br />

‚Molotow-Ribbentrop-Pakt‘. (. . . ) Heute sind wir ein wiedervereinigter <strong>und</strong> zusammengehöriger<br />

Kontinent, weil wir unsere Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg <strong>und</strong> aus dem Pakt,<br />

der ihn möglich gemacht hat, gezogen haben. 56<br />

Genauso wichtig wie die ‚Architekten‘ (<strong>und</strong> die zahlreichen ‚Bauarbeiter‘) waren<br />

aber auch die ‚Poliere‘ aus den jetzt zehn ostmittel- <strong>und</strong> südosteuropäischen Mitgliedstaaten<br />

stammenden Parlamentarier, hier vor allem die Abgeordneten Tunne<br />

Kelam (Estland), Vytautas Landsbergis (Litauen), József Szájer (Ungarn) <strong>und</strong> Sandra<br />

Kalniete (Lettland). Die fünfjährige Arbeit dieser ostmitteleuropäischen Lobbyisten<br />

für eine neue Geschichtspolitik <strong>und</strong> ihrer west-, süd- <strong>und</strong> nordeuropäischen Verbündeten<br />

in Gestalt der Entschließung von 2009 hatte vor allem zwei konkrete Folgen.<br />

Die eine war im Mai 2010 der Zusammenschluss von 35 Abgeordneten des EU-Parlaments<br />

zu einer informellen interfraktionellen Gruppe („Intergroup“) mit der Bezeichnung<br />

„Reconciliation of European Histories. For a better <strong>und</strong>erstanding of Europe’s<br />

shared history“. Zu dieser zählen sachk<strong>und</strong>ige <strong>und</strong> bedeutende Mitglieder wie der<br />

niederländische Osteuropahistoriker Bastiaan Belder, die ungarische Minderheitenrechtsexpertin<br />

Kinga Gál oder der bereits genannte Pöttering sowie überwiegend<br />

Parlamentarier, die sich seit 2004 auf dem Feld der Geschichtspolitik profilieren<br />

<strong>und</strong> maßgeblich am Zustandekommen der programmatischen Dokumente zum Holodomor,<br />

zum 23. August, zu Srebrenica sowie zum „Gewissen Europas <strong>und</strong> zum<br />

Totalitarismus“ beteiligt gewesen sind. 57 Vorsitzende der Gruppe ist die lettische Abgeordnete<br />

Sandra Kalniete, die in Deutschland bekannt wurde durch ihre Rede zur<br />

Eröffnung der Leipziger Buchmesse 2004, in der sie Nationalsozialismus <strong>und</strong> Stalinismus<br />

als „gleichermaßen verbrecherisch“ bezeichnet hat, 58 <strong>und</strong> durch ihr Buch<br />

über die eigene Familiengeschichte in der sowjetischen Verbannung. 59 Die frühere<br />

Außenministerin <strong>und</strong> kurzzeitige EU-Kommissarin nannte als Impulse für die Gründung<br />

der Parlamentariergruppe „das mangelnde genuine öffentliche Interesse an einer<br />

Beschäftigung mit dem sowjetischen Totalitarismus“ in der „westlichen Linken“<br />

56 Ebd.<br />

57 Siehe dazu die Website der Gruppe Reconciliation of European Histories. For a better <strong>und</strong>erstanding<br />

of Europe’s shared history, URL: http://eureconciliation.wordpress.com, letzter Zugriff: 05.10.2016.<br />

58 Sandra Kalniete: Altes Europa, neues Europa. Rede zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse am<br />

24. März 2004. URL: http://www.die-union.de/reden/altes_neues_europa.htm, letzter Zugriff:<br />

05.10.2016. Zur Kontroverse zwischen Kalniete <strong>und</strong> dem Vizepräsident des Zentralrats der Juden<br />

in Deutschland, Salomon Korn, vgl. Stefan Troebst: Von Nikita Chruščëv zu Sandra Kalniete. Der<br />

lieu de mémoire „1956“ <strong>und</strong> Europas aktuelle Erinnerungskonflikte, in: Comparativ 16 (2006) 1,<br />

S. 150–170.<br />

59 Sandra Kalniete: Ar balles kurpēm Sibīrijas sniegos. Riga 2001 (Dt.: Mit Ballschuhen im sibirischen<br />

Schnee. Die Geschichte meiner Familie, München 2005). Vgl. dazu: „Ich werde nie ein ganz freier<br />

Mensch sein“. Sandra Kalniete über den GULag, das Elend ihrer Familie <strong>und</strong> die Gleichgültigkeit des<br />

Westens, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.11.2005; Boris Barth: Staatlicher Terror,<br />

kollektive Erinnerungs- <strong>und</strong> Geschichtspolitik – Sandra Kalnietes „Mit Ballschuhen im sibirischen<br />

Schnee“, in: Neue Politische Literatur 52 (2007), S. 25–36.<br />

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