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Zwischen Arktis Adria und Armenien

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422 Historiographica<br />

dem deutschen Sprachraum Stammende) als gleichsam typisch osteuropäisch gelten<br />

kann. Schließlich sind auch die beiden, durch den Holocaust an den osteuropäischen<br />

Juden <strong>und</strong> die damit in indirektem Zusammenhang stehende Vertreibung<br />

der Deutschsprachigen aufgerissenen Lücken in der ethnischen Struktur ganz<br />

Osteuropas ein Charakteristikum – ein im Wortsinne „negatives“ Strukturmerkmal.<br />

Wie bereits angedeutet, gibt, es zwar eine enge Verbindung, aber keine kausalhierarchische<br />

Entwicklungslinie von der Ethnie mittels Nationalismus zur Nation.<br />

Daher muss osteuropabezogene historische Nationalismusforschung nicht nur die<br />

Geschichte der prä-nationalen, sondern auch der nicht-nationalen Komponenten der<br />

ethnischen Struktur ihrer Untersuchungsregion einbeziehen. Nur so entgeht sie der<br />

von den Nationalgeschichtsschreibungen aufgestellten Kausalitätsfalle, <strong>und</strong> nur so<br />

wird zu erklären sein, warum bestimmte Ethnien als Bezugsrahmen von Nationalismen<br />

fungieren, andere hingegen nicht. Ein sinnvolles Forschungsprogramm muss<br />

daher beide Ebenen – ethnische Struktur <strong>und</strong> Nationalismenvielfalt – erfassen <strong>und</strong><br />

zueinander in Beziehung setzen.<br />

Forschung zur ethnischen Struktur Osteuropas<br />

Ethnien, die über keine ausgeprägte Elite verfügen oder deren Eliten keine nationale<br />

Programmatik entwickelt oder aber damit kein Echo gef<strong>und</strong>en haben, werden<br />

von der historischen Osteuropaforschung noch immer bereitwillig Disziplinen wie<br />

Ethnologie, Anthropologie, Islamwissenschaft <strong>und</strong> den Philologien „überlassen“.<br />

Ausnahmen wie etliche politisch <strong>und</strong> vor allem militärisch instrumentalisierte Ethnien<br />

– z. B. Székler, Tataren oder Tscherkessen im Habsburger bzw. im Osmanischen<br />

Reich –, bestätigen dabei die Regel. Das gerade von der Geschichtswissenschaft als<br />

ebenso unhistorisch wie diskriminierend abgelehnte Engels’sche Diktum von den<br />

„geschichtslosen Völkern“ hat die Forschungsstrategien der Osteuropa-Historiographie<br />

unterschwellig stark bestimmt. Die Geschichte Osteuropas wird noch immer auf<br />

weiten Strecken als Summe der osteuropäischen Nationalgeschichten aufgefasst – ein<br />

Zustand, den zu konservieren die überaus produktiven osteuropäischen Nationalhistoriographien<br />

naheliegenderweise nach Kräften trachten. Die angesichts der gerade<br />

Osteuropa entscheidend prägenden Rolle der Nationalismen durchaus berechtigte,<br />

in ihrer Ausschließlichkeit aber problematische Fixierung historischer Osteuropaforschung<br />

auf nationale Bewegungen <strong>und</strong> Nationalstaaten hat überdies dazu geführt,<br />

dass die schiefe nationale Optik gängigen Begriffen wie „Minderheitenfrage“ oder<br />

„Nationalitätenproblem“ gleichsam implementiert ist: In dieser Perspektive sind es<br />

nicht die von außen an einzelne Ethnien gerichteten Ansprüche, die diese zu konfliktträchtigen<br />

Reaktionen veranlassen, sondern es ist umgekehrt die bloße Existenz<br />

von devianten „Minderheiten“, die „Fragen“ aufwirft, allein das Vorhandensein von<br />

„Nationalitäten“ bereitet aus solch nationalstaatlicher Sicht nichts als „Probleme“.<br />

Das Ideal des auch <strong>und</strong> gerade ethnisch homogenen Nationalstaats ist zwar im politischen<br />

Bereich dominierend <strong>und</strong> normsetzend, doch hat Geschichtsschreibung in

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