Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 18. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 22267<br />
(A)<br />
Weiterhin ist mir kein Fall bekannt, bei dem die<br />
Wahlvorstände bei <strong>Bundestag</strong>swahlen verschleiert ihren<br />
Dienst verrichtet hätten. Allerdings haben wir in Deutschland<br />
nach meinen Recherchen rund 60.000 Stimmbezirke,<br />
sodass mehrere Hunderttausend Bürgerinnen und<br />
Bürger auch in diesem Jahr dankenswerterweise wieder<br />
an der Durchführung der <strong>Bundestag</strong>swahlen mitwirken.<br />
Insofern kann eine Klarstellung wohl auch nicht wirklich<br />
schaden.<br />
Doch um Rechte der Frauen geht es im vorliegenden<br />
Gesetzentwurf überhaupt nicht. Vielmehr sorgt sich die<br />
Bundesregierung um die „Funktionsfähigkeit der Verwaltung“.<br />
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass diese<br />
von der Frage abhängt, ob Beamtinnen oder Beamte eine<br />
Gesichtsverhüllung tragen oder nicht? Wenn es Ihnen um<br />
eine effektive Verwaltung ginge, dann würden Sie den<br />
öffentlichen Dienst nicht kaputtsparen und die Beamten<br />
mit sinnlosen bürokratischen Schikanen auf Trab halten.<br />
(C)<br />
(B)<br />
Ich finde, ein Problem mit dem Gesetzestext zeigt sich<br />
in der Äußerung des Bundesrates und der Erwiderung der<br />
Bundesregierung: Der Bundesrat hat an einigen Stellen<br />
den Vorschlag gemacht, eine präzisere Formulierung zu<br />
wählen. Im Kern geht es mehrfach um den Zusatz „sowie<br />
zu ermöglichen, ihr Gesicht mit dem Lichtbild … abzugleichen“.<br />
Das sieht die Bundesregierung nicht so, da<br />
dies schon im Passgesetz etc. enthalten sei.<br />
Und so geht es mir an ganz vielen Stellen des Gesetzestextes:<br />
Eigentlich sollte das doch klar sein. Es kann<br />
doch niemand auf die Idee kommen, vollverschleiert in<br />
die Wahlkabine laufen zu wollen, ohne dass eine kurze<br />
Überprüfung stattfindet, ob es sich tatsächlich um den<br />
oder die Wahlberechtigte handelt. Alles andere wäre<br />
doch absurd.<br />
In der Summe stelle ich fest, dass die hier angestrebten<br />
Änderungen in weiten Teilen selbstverständlich sein<br />
müssen. Wenn es dazu noch dieser Klarstellungen bedarf,<br />
dann kann man dem auch zustimmen.<br />
Ich möchte auf den Anfang meiner Rede zurückkommen<br />
und die Frage, welche Funktion Recht hat. Recht<br />
hat nur eine begrenzte Reichweite; zum Beispiel hat das<br />
Recht nur einen begrenzten Zugriff auf den privaten Bereich.<br />
Viele Dinge, die wir nicht gut finden müssen, sind<br />
rechtlich nicht zu beanstanden.<br />
Eine Gesichtsverhüllung stehe einer „vertrauensvollen<br />
Kommunikation der staatlichen Funktionsträger<br />
mit den Bürgerinnen und Bürgern“ entgegen, meint die<br />
Bundesregierung. Ein Großteil dieser Kommunikation<br />
erfolgt heute telefonisch, per Post oder per E-Mail. Ob<br />
die Beamtin am anderen Ende der Leitung Nikab oder<br />
Minirock trägt, ob sie Christin, Atheistin oder Muslima<br />
ist, kann ich da nicht erkennen, und es ist genauso wenig<br />
von Interesse für meine Belange. Für eine „vertrauensvolle<br />
Kommunikation“ mit einer Behörde ist das gänzlich<br />
egal.<br />
Die einzigen mir bekannten Angehörigen des öffentlichen<br />
Dienstes, die ihr Gesicht verhüllen, sind Mitglieder<br />
von Polizeisonderkommandos. Deren Auftreten etwa<br />
am Rande von Demonstrationen erscheint mir in der Tat<br />
nicht als besonders vertrauensbildende Maßnahme.<br />
Ansonsten ist mir kein einziger Fall bekannt, wo eine<br />
Beamtin tatsächlich vollverschleiert zum Dienst erschienen<br />
ist. Auch die Bundesregierung konnte bislang kein<br />
praktisches Beispiel für den Nutzen eines solchen Gesetzes<br />
beibringen. Somit handelt es sich um ein reines Vorratsgesetz,<br />
wenn nicht gar um ein rechtlich unzulässiges<br />
Einzelfallgesetz. Es bestand bislang keine Notwendigkeit<br />
für solch ein Gesetz und ich sehe auch in der Zukunft<br />
keine Notwendigkeit dafür.<br />
(D)<br />
Ich selbst habe auch Probleme mit vollverschleierten<br />
Frauen. Ich – ganz persönlich – empfinde das als einen<br />
Ausdruck eines Frauenbildes, das ich nicht gut finde.<br />
Diese Konflikte werden wir aber nicht durch Gebote und<br />
Verbote lösen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die<br />
uns alle einschließt und von allen auch eine gewisse Offenheit<br />
für den Anderen benötigt – eine Tugend, die mir<br />
in den letzten Monaten zum Teil etwas in Vergessenheit<br />
geraten zu sein scheint.<br />
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Hinter dem sperrigen Titel<br />
„Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen<br />
der Gesichtsverhüllung“ verbirgt sich der Versuch,<br />
ein Problem zu regeln, das gar nicht besteht. Es<br />
soll Beamtinnen und Beamten verboten werden, während<br />
ihres Dienstes ihr Gesicht zu verhüllen. Auch wenn jeder<br />
konkrete Bezug sorgsam vermieden wird, ist doch klar,<br />
dass sich der Gesetzentwurf auf muslimische Frauen bezieht,<br />
die eine Vollverschleierung tragen, zum Beispiel<br />
einen Nikab oder eine Burka, die oft nicht einmal mehr<br />
die Augen freilässt. Mir persönlich ist es unverständlich,<br />
warum sich jemand – auch im Namen einer Religion –<br />
so eine Kleidung antut. Und wenn eine solche Vollverschleierung<br />
auf den Druck zumeist männlicher Familienmitglieder<br />
zurückzuführen ist, dann lehne ich das<br />
entschieden ab.<br />
Nur eine winzige Minderheit der in Deutschland lebenden<br />
Muslimas trägt einen Nikab oder gar eine Burka.<br />
Doch dieses an sich sinnlose Sondergesetz, das faktisch<br />
nur gegen Angehörige einer Religionsgemeinschaft gerichtet<br />
ist, wird auch von anderen Muslimen, die für sich<br />
persönlich eine Vollverschleierung ablehnen, als Element<br />
einer wachsenden Islamfeindschaft verstanden.<br />
Mit diesem Gesetzentwurf werden der rechte Rand,<br />
die Pegida-Stammtische und das AfD-Klientel bedient.<br />
In Sachsen-Anhalt gelang es der AfD bereits, mit einem<br />
entsprechenden Antrag die CDU-SPD-Grünen-Regierung<br />
vor sich her zu treiben. Im Innenausschuss des<br />
Landtages einigten sich Koalition und AfD auf einen<br />
Antrag, um Gesichtsschleier im öffentlichen Raum – so<br />
wörtlich – „zu begrenzen“. Ich bezweifle, dass in ganz<br />
Sachsen-Anhalt mehr als eine Handvoll vollverschleierter<br />
Frauen lebt, und ich bin sicher, dass keine einzige davon<br />
Beamtin ist. Aus so einem Antrag spricht die blanke<br />
Hysterie; bedient wird damit zugleich dumpfe Fremdenfeindlichkeit.<br />
Dass auch die Grünen darauf aufspringen, ist bezeichnend.<br />
Aber was soll man von einer Partei halten, die ihren<br />
Restpazifismus bereitwillig opferte, um die Bundeswehr<br />
zur Befreiung der afghanischen Frauen von der Burka an<br />
den Hindukusch zu schicken?