Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 18. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017<br />
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(B)<br />
Fassen wir also zusammen: Der vorliegende Gesetzentwurf<br />
hat kaum praktische Relevanz; er ist völlig überflüssig.<br />
Doch er ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten,<br />
und er trägt in völlig unnötiger Weise dazu<br />
bei, das allgemeine Klima gegenüber Muslimen weiter<br />
zu vergiften. Daher lehnt die Linke dieses Gesetz ab.<br />
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):<br />
Das ist nicht gut gebrüllt; es ist eher Much Ado About Nothing,<br />
was Sie dort zur Gesichtsverhüllung von SEK-Beamtinnen<br />
und Feldjägerinnen veranstalten. Sie sollen<br />
fortan Karnevalsmasken nur noch tragen dürfen, wenn<br />
es aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist, wohl<br />
weil die Karnevalszeit ja leider Gottes nicht selten mit<br />
der einen oder anderen Grippewelle zusammenfällt. Das<br />
ist sicherlich gesundheitspolitisch lobenswert – wenn<br />
auch schlussendlich nicht überzeugend –, hat aber eben<br />
wenig mit dem Kampf zur Befreiung der unterdrückten<br />
Frau und schon gar nichts mit sinnvoller Terrorbekämpfung<br />
zu tun.<br />
Aber genug der Polemik. Wenn dem so ist, dass man<br />
auf Grundlage des geltenden Rechts Richterinnen nicht<br />
verbieten kann, das Gesicht während der Verhandlung zu<br />
verhüllen, nun gut, dann kann man das meinetwegen regeln.<br />
Klare Regeln sind im Rechtsstaat tendenziell richtiger<br />
als juristische Verschwommenheit. Aber müssen wir<br />
über diese nichtexistenten Fälle tatsächlich eine monatelange<br />
Debatte führen und dem bayerischen Ministerpräsidenten<br />
eine bundespolitische Lichtung zum Röhren<br />
geben? Das ist doch Irrsinn. Es ist gut, dass die Reden<br />
zu diesem Thema heute zu Protokoll gehen; denn ehrlich<br />
gesagt kann man sich das alles nicht weiter anhören.<br />
Frauen in Burka sind sicherlich kein Anblick, den ich<br />
vermissen würde, wenn es ihn nicht mehr gäbe. Dennoch<br />
würde ich im Zweifel jeder Frau erst einmal das Recht<br />
zubilligen, sich so zu kleiden, wie sie es will. Belege dafür,<br />
dass sich Frauen hierzulande gegen ihren Willen in<br />
solche Verkleidungen sperren lassen, gibt es nicht. Aber<br />
auch wenn: Wie wollen Sie, liebe grauhaarige Verfechter<br />
der Emanzipation aus der CSU, diese Frauen denn<br />
aus ihrer wandelnden Textilhaft befreien, wenn Sie ihnen<br />
faktisch den Zugang zum öffentlichen Raum noch<br />
erschweren? Es ist gut, dass die Koalition diesen Forderungen<br />
nicht nachgegeben hat und Säkularität nicht ebenso<br />
falsch versteht wie die parlamentarische Mehrheit in<br />
Frankreich, die aus der laizistischen Trennung von Staat<br />
und Kirche in dieser Sache ein Instrument der republikanischen<br />
Unterdrückung selbstgewählter Lebensstile<br />
gemacht hat. So schafft man nicht mehr Freiheit, sondern<br />
weniger.<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung<br />
zum Kopftuch die positive Religionsfreiheit<br />
gestärkt. Der Staat hat demnach nicht zu beurteilen, welche<br />
Bekleidungsvorschriften jemand aus religiösen oder<br />
weltanschaulichen Gründen für sich als verpflichtend<br />
ansieht oder nicht. Pauschale Verbote kann es nach diesem<br />
Urteil nicht mehr geben. Entsprechende Regelungen<br />
müssen zudem diskriminierungsfrei erfolgen, also für<br />
alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen<br />
gelten. An diesen Leitprinzipien hat sich auch die Debatte<br />
um das Verbot von Burka und Nikab zu orientieren.<br />
Das Grundgesetz gibt hier zu Recht hohe Hürden vor.<br />
Partielle Verbote der Vollverschleierung müssen gut begründete<br />
Ziele haben.<br />
Wir Grünen haben – anders als manch anderer in diesem<br />
Hohen Hause – zur Vorstellung der Kirchen von<br />
Geschlechterrollen und zur Sexuallehre kein Blatt vor<br />
den Mund genommen. Genauso werden wir auch gegen<br />
frauenfeindliche Haltungen im Islam streiten. Burka und<br />
Nikab können Ausdruck eines patriarchalischen, frauenfeindlichen<br />
Gesellschaftsbilds sein, das wir ablehnen und<br />
sind es oft auch. Auch die große Mehrheit der Muslimas<br />
und Muslime in Deutschland sieht die derartig weit gehende<br />
Verhüllung nicht als religiöses Gebot. Aber diese<br />
Entscheidung treffen die individuellen Grundrechtsträgerinnen,<br />
also die Frauen selbst, und niemand anders für<br />
sie.<br />
Wer diesen Frauen dieses Recht von vornherein abspricht,<br />
befördert im Ergebnis antimuslimische Ressentiments<br />
und lenkt von den tatsächlich sicherheitspolitisch<br />
entscheidenden Maßnahmen ab: von dem Bedarf einer<br />
besseren Ausstattung der Polizei, von deutlich verbesserten<br />
Präventionskonzepten. Wer wirklich etwas für<br />
die Selbstbestimmung von Frauen tun will, sollte Beratungsstellen<br />
finanziell fördern, Frauen über ihre Rechte<br />
aufklären und ihnen Schutz gewähren, wenn sie in ihrer<br />
Freiheit und Selbstbestimmung bedrängt oder bedroht<br />
werden – in bundesweit besser finanzierten Frauenhäusern<br />
zum Beispiel.<br />
Summa summarum: Nicht alles, was man falsch findet,<br />
kann man verbieten. Ich wünsche mir dennoch, dass<br />
trotz aller bereichsspezifischer Verbote der Gesichtsverhüllung<br />
die karnevalesken Traditionen aufrechterhalten<br />
werden und dass man den Rekruten in den Bundeswehrkasernen<br />
in ihrer Freizeit die kleine Freude des Alltags<br />
nicht verwehrt, mit übergezogenen Kopfkissenbezügen<br />
Kissenschlachten zu veranstalten.<br />
In diesem Sinne ein nachhallendes Alaaf! Und bis<br />
gleich!<br />
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister<br />
des Innern: Wer sein Gesicht offen zeigt, begegnet<br />
seinen Mitmenschen in Offenheit. Diese Offenheit ist<br />
aus meiner Sicht eine Grundfeste unserer gemeinsamen<br />
Werteordnung.<br />
Ein vollverschleiertes Auftreten in der Öffentlichkeit<br />
kommt hingegen einer Ablehnung unserer Werte<br />
gleich. Die Vollverschleierung beeinträchtigt daher den<br />
gesellschaftlichen Zusammenhalt und die zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen. Dem entgegenzuwirken<br />
hält im Übrigen auch der Europäische Gerichtshof für<br />
Menschenrechte für legitim. Denn wenn das Gesicht im<br />
Verborgenen bleibt, sind die Möglichkeiten des Kennenlernens<br />
stark eingeschränkt. Das behindert Kommunikation,<br />
die eben nicht allein aus Worten besteht.<br />
Gerade für Menschen, die neu in unser Land kommen<br />
und von denen wir zu Recht die Integration verlangen, ist<br />
die Vollverschleierung ein Hemmnis. Im Verbergen des<br />
Gesichts manifestiert sich geradezu die Ablehnung der<br />
aufnehmenden Gesellschaft.<br />
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