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Deutscher Bundestag

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22072<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 18. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017<br />

Thomas Oppermann<br />

(A)<br />

(B)<br />

die sich „Pulse of Europe“ nennt. In über 35 Städten in<br />

Deutschland demonstrieren jetzt jeden Sonntag Menschen<br />

für Europa:<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/<br />

CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-<br />

NEN)<br />

Familien, Jüngere ebenso wie Ältere. Das sind noch<br />

kleine Gruppen. In meiner Heimatstadt Göttingen haben<br />

letzten Sonntag 150 Personen teilgenommen. Es werden<br />

aber von Woche zu Woche mehr. Das kann eine richtige<br />

Graswurzelbewegung werden. Und das Bemerkenswerte<br />

daran ist: Sie demonstrieren nicht gegen etwas, sondern,<br />

lieber Volker, sie demonstrieren für etwas, für die Europäische<br />

Union,<br />

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />

der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/<br />

DIE GRÜNEN)<br />

für die Vorzüge eines offenen Europas, für Reisefreiheit,<br />

für eine Sicherheit gebende Gemeinschaft im Weltgefüge.<br />

Wir haben im letzten Jahr in dieser Gesellschaft eine<br />

Politisierung von rechts erlebt. Was wir jetzt erleben, ist<br />

eine Politisierung derjenigen, die sich die Demokratie<br />

und Europa nicht kaputt machen lassen wollen. Und genau<br />

eine solche positive Kraft brauchen wir, meine Damen<br />

und Herren.<br />

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />

der CDU/CSU)<br />

Viele haben erkannt, dass der Kampf um den Erhalt der<br />

liberalen Demokratien, der sozialen Marktwirtschaft und<br />

einer Gesellschaft, die auf Toleranz und Respekt beruht,<br />

eben nur mit einem funktionierenden Europa gewonnen<br />

werden kann.<br />

Meine Damen und Herren, ich war letzte Woche in<br />

London und hatte Gelegenheit, dort mit jungen Menschen<br />

über den Brexit zu diskutieren. Viele von ihnen<br />

glauben, dass sich ihr Leben dadurch zum Schlechteren<br />

verändern wird. Sie sehen ihre Chancen und Hoffnungen<br />

bedroht, aber sie wissen natürlich auch, dass das Referendum<br />

politische Fakten geschaffen hat. Der Antrag<br />

Großbritanniens wird kommen. Das ist ohne Zweifel ein<br />

großer Verlust für die Europäische Union.<br />

Natürlich muss die Freundschaft zwischen Deutschland<br />

und Großbritannien auch nach dem Brexit fortbestehen.<br />

Das bedeutet übrigens für mich auch, dass möglichst<br />

schnell für die 3 Millionen EU-Bürger in Großbritannien<br />

Rechtssicherheit geschaffen werden muss. Die britische<br />

Regierung kann die EU-Mitgliedschaft abwickeln. Was<br />

man aber nicht abwickeln kann, sind Menschen, die auf<br />

ihre EU-Bürgerschaft vertraut haben.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Das gilt natürlich genauso für die über 1 Million britischen<br />

Staatsbürger, die in der EU leben. Ich finde, wir<br />

müssen diesen Menschen schnell sagen können, dass sie<br />

ihren Status behalten.<br />

Im Übrigen sollte klar sein: Wir wollen faire Verhandlungen,<br />

keine Sonderbehandlung Großbritanniens. Die<br />

Leitlinie für die Brexit-Verhandlungen muss die Einheit<br />

der Europäischen Union sein. Die vollen Vorteile des<br />

Binnenmarktes bleiben untrennbar verbunden mit den<br />

vier Grundfreiheiten der Europäischen Union; denn die<br />

EU ist eine Partnerschaft mit Rechten und Pflichten und<br />

kein Selbstbedienungsladen, aus dem sich jeder das nehmen<br />

kann, was ihm gefällt.<br />

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und<br />

des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])<br />

Meine Damen und Herren, die Situation in der Türkei<br />

ist bestürzend. Über 100 000 Menschen wurden im<br />

letzten Jahr aus dem Staatsdienst entlassen. Jeder, der<br />

eine andere Meinung hat, muss Angst haben, verhaftet<br />

zu werden. Über 100 Journalisten – unter ihnen Deniz<br />

Yücel – und die Führung der Opposition sitzen im Gefängnis.<br />

Vor diesem Hintergrund ist es für mich ein absoluter<br />

Widerspruch, wenn sich jetzt Präsident Erdogan<br />

und türkische Minister in Deutschland auf die Meinungsfreiheit<br />

berufen, während sie gleichzeitig die Meinungsund<br />

Pressefreiheit in der Türkei mit Füßen treten.<br />

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />

der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/<br />

DIE GRÜNEN)<br />

Auch wenn es für viele schwer erträglich ist, dass in<br />

Deutschland türkische Regierungsmitglieder für eine<br />

Verfassungsreform werben, mit der die weitgehende Abschaffung<br />

der parlamentarischen Demokratie verbunden<br />

ist, plädiere ich trotzdem dafür, nicht allgemeine Einreiseverbote<br />

oder Redeverbote zu verhängen; denn Erdogan<br />

sucht mit diesen schrillen Provokationen doch nur die<br />

direkte Auseinandersetzung mit Deutschland. Er sucht<br />

ein Feindbild und will die nationalen Emotionen der türkischen<br />

Landsleute für seine umstrittene Verfassungsreform<br />

mobilisieren. Ich finde, dabei sollten wir ihm nicht<br />

helfen.<br />

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Präsident Dr. Norbert Lammert:<br />

Herr Kollege Oppermann, darf der Kollege van Aken<br />

eine Zwischenfrage stellen?<br />

(C)<br />

(D)<br />

Thomas Oppermann (SPD):<br />

Ja, gern.<br />

Jan van Aken (DIE LINKE):<br />

Herr Oppermann, vielen Dank. – Ich bin ganz bei Ihnen:<br />

Auch ich finde es richtig, dass wir in Deutschland<br />

unsere Freiheitsrechte hochhalten und türkische Politiker<br />

hier reden sollten.<br />

Aber meine Frage an Sie ist: Sind Sie nicht auch der<br />

Meinung, dass nach all den Worten, auch den guten Worten,<br />

die in den letzten Tagen von der Bundesregierung gekommen<br />

sind, endlich konkretes Handeln kommen muss?<br />

Denn ohne konkretes Handeln wird sich kaum etwas verändern.<br />

Ich denke zum Beispiel an die deutsch-türkische<br />

Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Die Vorstellung,

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