ZAP-2019-19
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Fach 23, Seite 1174<br />
Virtuelle Kanzlei und Zweigstelle<br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
GAIER/WOLF/GÖCKEN, § 27 BRAO Rn 21 ff.; a.A. PRÜTTING in: HENSSLER/PRÜTTING, BRAO Rn 7 zu § 27 BRAO, der<br />
eine regelmäßige persönliche Anwesenheit des Rechtsanwalts weder in seiner Kanzlei, noch in seiner<br />
Zweigstelle für erforderlich hält).<br />
Mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft tritt der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege (§ l BRAO)<br />
zugleich auch in ein besonderes Pflichtenverhältnis ein. Er übernimmt besondere Verpflichtungen<br />
und Verantwortlichkeiten für die Rechtspflege im demokratischen Gemeinwesen. Die Rechtsordnung<br />
stattet den Rechtsanwalt aus diesem Grunde auch mit besonderen Privilegien aus (Recht zur<br />
Verschwiegenheit, Akteneinsichtsrecht und Ähnliches). Er muss daher im Interesse einer funktionsfähigen<br />
Rechtspflege, an der mitzuwirken er als Organ der Rechtspflege verpflichtet ist, für Gerichte,<br />
Behörden und Rechtssuchende gleichermaßen erreichbar sein. Er kann sich dabei nicht darauf<br />
zurückziehen, dass es ausreiche, wenn er telefonisch oder schriftlich erreichbar sei, wenn er keine<br />
geeigneten Räumlichkeiten unterhält, in denen auch vertrauliche Gespräche geführt werden können<br />
(BVerfG, Beschl. v. 12.2.<strong>19</strong>86 – 1 BvR 1770/83, NJW <strong>19</strong>86, 1801).<br />
Dies kann auch bei einer Zweigstelle nicht anders sein, die nach § 5 BORA eben genau die gleichen<br />
Anforderungen an die sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen erfordern, wie<br />
die Hauptniederlassung.<br />
Etwas anderes würde zudem gegen § 48 BRAO verstoßen. Denn ein Rechtsanwalt kann sich auch nicht<br />
darauf berufen, dass er gem. § 44 BRAO frei sei, Mandate abzulehnen und deswegen für Rechtsuchende<br />
physisch auch nicht erreichbar sein müsse. Diese Argumentation übersieht die Pflichten des Rechtsanwaltes,<br />
bestimmte Hilfeleistungen für Rechtssuchende im Interesse einer geordneten Rechtspflege<br />
sehr wohl übernehmen zu müssen (§ 48 BRAO). Der Anwalt ist verpflichtet, bei Antragung eines<br />
Mandats zunächst zu prüfen, ob er dieses tatsächlich ablehnen darf oder ob er ggf. im Einzelfall<br />
verpflichtet ist, nach § 48 BRAO die Vertretung zu übernehmen. Dies ist aber nur möglich, wenn er auch<br />
persönlich an der von ihm geführten Haupt- oder Zweigniederlassung erreichbar ist.<br />
Den Rechtsanwalt trifft aber keine Pflicht, anders als es bei seiner Hauptniederlassung der Fall ist, die<br />
Zweigniederlassung in seinem Briefbogen anzugeben (BGH NJW 2010, 3787; BGH GRUR 2012, 1275).<br />
Umgekehrt muss er jedoch, sofern er es doch tut, seine Hauptniederlassung stets als solche kenntlich<br />
machen und Klarheit schaffen, welche seine Haupt- und welche seine Zweigniederlassung ist. Dies<br />
resultiert aus der Kanzleipflicht aus §§ 29 Abs. 1, 27 Abs. 1 BRAO.<br />
Diese Kenntlichmachung kann auch u.U. schon dadurch geschehen, in dem er deutlich angibt (sofern<br />
für Hauptniederlassung und Zweigniederlassung verschiedene Rechtsanwaltskammern zuständig<br />
wären), welcher RAK er angehört. Bei der Verwendung eines einheitlichen Briefbogens muss<br />
jedenfalls klar erkennbar sein, wo der Hauptsitz der Kanzlei ist. Zwar bedarf es keiner Hervorhebung<br />
etwa durch Fettdruck, doch muss sich aus dem Briefbogen ergeben, welcher der Hauptsitz ist. § 10<br />
BORA wurde mit Wirkung zum 1.11.2013 neu gefasst. Darin ist klargestellt, dass jeder Rechtsanwalt<br />
seine Hauptkanzleianschrift auf jedem Briefbogen – also auch auf dem der Zweigstelle – aufführen<br />
muss. Die Satzungsversammlung wollte sichergestellt sehen, dass der Rechtssuchende über die<br />
aufgeführte Anschrift ermitteln kann, welche RAK die Berufsaufsicht über den jeweiligen Rechtsanwalt<br />
ausübt. Der Rechtsanwalt ist jedoch nicht verpflichtet, sämtliche Zweigstellen auf seinem<br />
Briefbogen aufzuführen.<br />
An den Anforderungen für die Zweigniederlassung ändert auch die Aufhebung des § 28 BRAO a.F.<br />
(Zweigstellenverbot) nichts, denn sie ist nur Resultat der Aufhebung des Lokalisationsgebots. Der<br />
Gesetzgeber hat aber die Aufhebung des Lokalisationsgebots gerade nicht zum Anlass genommen,<br />
die Kanzleipflicht abzuschaffen oder die Einrichtung von Zweigstellen von allen beschränkenden<br />
Regelungen freizustellen.<br />
1032 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>19</strong> 10.10.<strong>20<strong>19</strong></strong>