10.10.2019 Aufrufe

ZAP-2019-19

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Fach 23, Seite 1178<br />

Virtuelle Kanzlei und Zweigstelle<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

Präsenz und Statik. Er ist mit dem Bild eines nur nach Terminsvereinbarung mit dem Mandanten anreisenden<br />

Rechtsanwalts oder eines Rechtsanwalts, der nur über Telekommunikationsmittel mit Mandant und Gericht<br />

Kontakt hält, nicht in Einklang zu bringen.“<br />

Daran ändert auch die Entwicklung moderner Telekommunikationsmittel nichts. Das Kammergericht<br />

Berlin dazu weiter: „Die Arbeitsweise einiger Rechtsanwälte mag sich infolge dieser Entwicklung so verändert<br />

haben, dass sie den notwendigen Informationsaustausch mit Mandanten und Mitarbeitern auf elektronischem<br />

Weg regeln. Der Regelfall, den der Durchschnittsverbraucher aufgrund eigener Erfahrungen, aber auch durch<br />

Darstellungen in z.B. Fernsehfilmen und -serien kennt, zeichnet sich aber durch ein persönliches Gespräch nach<br />

Vereinbarung eines Termins in Räumen aus, in denen der Rechtsanwalt nicht nur eine Sprechstunde abhält, zu der<br />

er eigens anreist.“<br />

Um eine Kanzlei nach § 27 Abs. 1 BRAO handelt es nicht und auch von einer „weiteren Kanzlei“ nach § 27<br />

Abs. 2 BRAO kann keine Rede sein. Auch als Zweigstelle kann solch eine Konstruktion nicht bezeichnet<br />

werden, da diese Postanschriften nicht von der Hauptkanzlei organisatorisch abhängen und keine<br />

physische Präsenz von Berufsträgern dort in gewisser Beständigkeit vorliegt.<br />

Die Zweigniederlassung unterscheidet sich von der Hauptniederlassung nur dadurch, dass der<br />

Rechtsanwalt dort nicht überwiegend personell anwesend ist. Er muss aber auch dort regelmäßig<br />

physisch präsent sein. § 5 BORA stellt zwischen „Kanzlei“ und „Zweigstelle“ klar, dass der Rechtsanwalt<br />

an beiden Standorten die im Wesentlichen gleichen personellen und organisatorischen Voraussetzungen<br />

bereithalten muss.<br />

Dies ist bei einer derartigen einfachen Postannahmesituation über ein Bürodienstleistungszentrum<br />

nicht der Fall.<br />

2. Das Argument des digitalen Zeitalters<br />

Im prognostizierten Zeitalter von Legal Tech sind auch virtuelle Kanzleien (mitunter auch<br />

„Telekanzleien“ genannt, so etwa PRÜTTING, AnwBl 2011, 46, 47) in vieler Munde. Einher geht mit dieser<br />

Argumentation häufig die Forderung, den Kanzleibegriff aus § 27 Abs. 1 BRAO weiter aufzuweichen oder<br />

gar fallen zu lassen. Man hört in solchen Fällen, dass die BRAO nicht mehr up to date und noch das letzte<br />

Relikt des abgeschafften Lokalisationsgebots aus § 28 BRAO a.F. sei (so etwa von MÖLLENDORF in:<br />

Kanzleipflicht und Digitalisierung: Das Kanzleischild hat ausgedient, zu finden unter https://www.lto.de/<br />

recht/juristen/b/digitalisierung-kanzlei-kanzleipflicht-liberalisierung-anwaltsberuf/).<br />

Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Von einem letzten Relikt vergangener Zeiten zu sprechen,<br />

verkennt den Umstand, dass der Gesetzgeber in § 27 Abs. 1 BRAO bewusst die Kanzleipflicht nicht<br />

abgeschafft hat.<br />

Die heutige Praxiswirklichkeit bedeutet zwar nicht mehr, dass ein Rechtsanwalt nur noch an seinem<br />

Schreibtisch vor einer Wand von Büchern sitzt und dort seinen Mandanten empfängt. Natürlich haben<br />

längst Online-Rechtsberatungen ihren Weg in die anwaltliche Tätigkeit gefunden. Mitunter wird der<br />

Rechtsanwalt sogar schon durch Maschinen im Rahmen von Legal Tech abgelöst. Doch spätestens<br />

dann, wenn sich dem Mandanten die Frage stellt, wer eigentlich für die falsche anwaltliche Beratung<br />

haftet, bedarf es eine Person, die zuständig ist. Es ist ein Irrglaube zu meinen, in einer digitalisierten<br />

Welt bedürfe es keiner persönlichen Erreichbarkeiten von Verantwortlichen. Das Gegenteil ist der<br />

Fall. Je weiter die Digitalisierungsmöglichkeiten voranschreiten, umso wichtiger wird es werden,<br />

klare persönliche Verantwortlichkeiten ausmachen zu können. Ein Verantwortlicher, der nach dem<br />

Impressum auf den Bahamas sitzt, wird dem einzelnen Rechtssuchenden jedenfalls keine Verlässlichkeit<br />

bieten können. Ein Rechtsanwalt, dessen fester Anschriftenbezugspunkt nicht bekannt ist oder erst<br />

durch Abfragen bei Einwohnermeldebehörden ermittelt werden muss, stellt z.B. für rechtswirksame<br />

Zustellungen und den Vertrauensschutz der Öffentlichkeit eine Gefahr für die Gewährleistung der<br />

Rechtspflege dar. Das Gleiche gilt für Rechtsanwälte, die zwar eine Anschrift angeben, dort eingehende<br />

1036 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>19</strong> 10.10.<strong>20<strong>19</strong></strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!