ZAP-2019-19
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Fach 23, Seite 1178<br />
Virtuelle Kanzlei und Zweigstelle<br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
Präsenz und Statik. Er ist mit dem Bild eines nur nach Terminsvereinbarung mit dem Mandanten anreisenden<br />
Rechtsanwalts oder eines Rechtsanwalts, der nur über Telekommunikationsmittel mit Mandant und Gericht<br />
Kontakt hält, nicht in Einklang zu bringen.“<br />
Daran ändert auch die Entwicklung moderner Telekommunikationsmittel nichts. Das Kammergericht<br />
Berlin dazu weiter: „Die Arbeitsweise einiger Rechtsanwälte mag sich infolge dieser Entwicklung so verändert<br />
haben, dass sie den notwendigen Informationsaustausch mit Mandanten und Mitarbeitern auf elektronischem<br />
Weg regeln. Der Regelfall, den der Durchschnittsverbraucher aufgrund eigener Erfahrungen, aber auch durch<br />
Darstellungen in z.B. Fernsehfilmen und -serien kennt, zeichnet sich aber durch ein persönliches Gespräch nach<br />
Vereinbarung eines Termins in Räumen aus, in denen der Rechtsanwalt nicht nur eine Sprechstunde abhält, zu der<br />
er eigens anreist.“<br />
Um eine Kanzlei nach § 27 Abs. 1 BRAO handelt es nicht und auch von einer „weiteren Kanzlei“ nach § 27<br />
Abs. 2 BRAO kann keine Rede sein. Auch als Zweigstelle kann solch eine Konstruktion nicht bezeichnet<br />
werden, da diese Postanschriften nicht von der Hauptkanzlei organisatorisch abhängen und keine<br />
physische Präsenz von Berufsträgern dort in gewisser Beständigkeit vorliegt.<br />
Die Zweigniederlassung unterscheidet sich von der Hauptniederlassung nur dadurch, dass der<br />
Rechtsanwalt dort nicht überwiegend personell anwesend ist. Er muss aber auch dort regelmäßig<br />
physisch präsent sein. § 5 BORA stellt zwischen „Kanzlei“ und „Zweigstelle“ klar, dass der Rechtsanwalt<br />
an beiden Standorten die im Wesentlichen gleichen personellen und organisatorischen Voraussetzungen<br />
bereithalten muss.<br />
Dies ist bei einer derartigen einfachen Postannahmesituation über ein Bürodienstleistungszentrum<br />
nicht der Fall.<br />
2. Das Argument des digitalen Zeitalters<br />
Im prognostizierten Zeitalter von Legal Tech sind auch virtuelle Kanzleien (mitunter auch<br />
„Telekanzleien“ genannt, so etwa PRÜTTING, AnwBl 2011, 46, 47) in vieler Munde. Einher geht mit dieser<br />
Argumentation häufig die Forderung, den Kanzleibegriff aus § 27 Abs. 1 BRAO weiter aufzuweichen oder<br />
gar fallen zu lassen. Man hört in solchen Fällen, dass die BRAO nicht mehr up to date und noch das letzte<br />
Relikt des abgeschafften Lokalisationsgebots aus § 28 BRAO a.F. sei (so etwa von MÖLLENDORF in:<br />
Kanzleipflicht und Digitalisierung: Das Kanzleischild hat ausgedient, zu finden unter https://www.lto.de/<br />
recht/juristen/b/digitalisierung-kanzlei-kanzleipflicht-liberalisierung-anwaltsberuf/).<br />
Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Von einem letzten Relikt vergangener Zeiten zu sprechen,<br />
verkennt den Umstand, dass der Gesetzgeber in § 27 Abs. 1 BRAO bewusst die Kanzleipflicht nicht<br />
abgeschafft hat.<br />
Die heutige Praxiswirklichkeit bedeutet zwar nicht mehr, dass ein Rechtsanwalt nur noch an seinem<br />
Schreibtisch vor einer Wand von Büchern sitzt und dort seinen Mandanten empfängt. Natürlich haben<br />
längst Online-Rechtsberatungen ihren Weg in die anwaltliche Tätigkeit gefunden. Mitunter wird der<br />
Rechtsanwalt sogar schon durch Maschinen im Rahmen von Legal Tech abgelöst. Doch spätestens<br />
dann, wenn sich dem Mandanten die Frage stellt, wer eigentlich für die falsche anwaltliche Beratung<br />
haftet, bedarf es eine Person, die zuständig ist. Es ist ein Irrglaube zu meinen, in einer digitalisierten<br />
Welt bedürfe es keiner persönlichen Erreichbarkeiten von Verantwortlichen. Das Gegenteil ist der<br />
Fall. Je weiter die Digitalisierungsmöglichkeiten voranschreiten, umso wichtiger wird es werden,<br />
klare persönliche Verantwortlichkeiten ausmachen zu können. Ein Verantwortlicher, der nach dem<br />
Impressum auf den Bahamas sitzt, wird dem einzelnen Rechtssuchenden jedenfalls keine Verlässlichkeit<br />
bieten können. Ein Rechtsanwalt, dessen fester Anschriftenbezugspunkt nicht bekannt ist oder erst<br />
durch Abfragen bei Einwohnermeldebehörden ermittelt werden muss, stellt z.B. für rechtswirksame<br />
Zustellungen und den Vertrauensschutz der Öffentlichkeit eine Gefahr für die Gewährleistung der<br />
Rechtspflege dar. Das Gleiche gilt für Rechtsanwälte, die zwar eine Anschrift angeben, dort eingehende<br />
1036 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>19</strong> 10.10.<strong>20<strong>19</strong></strong>