ZAP-2019-19
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Fach 23, Seite 1180<br />
Virtuelle Kanzlei und Zweigstelle<br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
Der Hauptkritikpunkt an Bürodienstleistungszentren, die einzig zur Annahme und Weiterverschickung<br />
von eingehender Post beauftragt werden, ist aber gerade im digitalen Zeitalter so aktuell wie nie zuvor.<br />
Wenn es doch heute technisch so einfach ist wie noch nie, mit Mandanten in die Kommunikation zu<br />
treten, so bedarf es umso mehr einer Verlässlichkeit für den Mandanten, zu wissen, wo er seinen<br />
Rechtsanwalt auch physisch erreicht.<br />
Die Anmietung von Bürodienstleistungszentren als Briefkastenanschrift dient nicht dem Servicegedanken<br />
des Mandanten. Gerade im digitalen Zeitalter wäre eine solche Rechtfertigung fernliegend. Sie<br />
dient vielmehr einzig dazu, nach außen ggü. potenziellen neuen Mandanten eine Größe und örtliche<br />
Präsenz vorzuspiegeln, die tatsächlich aber nicht besteht. Die Kritik an solchen Konstruktionen ist nicht,<br />
dass der Rechtsanwalt jedenfalls in manchen Rechtsbereichen nicht auch über weitere örtliche<br />
Entfernungen hinweg eine Rechtsberatung erteilen könnte. Sondern die Kritik an solchen Konstruktionen<br />
ist gerade vornehmlich der Schutz der Öffentlichkeit vor dem falschen Glauben, wo er<br />
seinen Rechtsanwalt antreffen könne. Wer sich sehenden Auges einen weit entfernten Rechtsanwalt<br />
anvertraut, kann dies tun. Niemand wird daran gehindert, im Internet nach einem Rechtsanwalt in einer<br />
anderen Stadt zu suchen und ihn zu beauftragen, ohne ihn jemals getroffen zu haben. Ob dies aus<br />
Mandantensicht sinnvoll ist, darf in vielen Fällen bezweifelt werden, soll aber hier nicht bewertet<br />
werden.<br />
Die geschäftliche Entscheidung, vor der der Rechtssuchende geschützt werden soll, ist die Kontaktaufnahme<br />
mit dem Rechtsanwalt in den durch die Werbung des Rechtsanwalts hervorgerufenen irrigen<br />
Vorstellungen. Ob die Fehlvorstellungen nach der Kontaktaufnahme im Gespräch mit dem Rechtsanwalt<br />
ausgeräumt werden, ist damit nicht beachtlich (KG a.a.O.).<br />
Auch eine virtuelle Kanzlei muss irgendwo einen festen Ankerpunkt, eine feste Kanzleianschrift haben,<br />
über die der Rechtsanwalt erreichbar ist und an dessen Gerichtsort er Mitglied der RAK ist. Es muss klare<br />
Orientierungen auch für die Berufsaufsicht geben. Das ändert nichts daran, dass er von dort aus auch<br />
online und über Telekommunikationswege anwaltlich tätig sein kann. Eine virtuelle Kanzlei, die im<br />
luftleeren Raum schwebt, d.h. einem Rechtsanwalt seine Berufsausübung von allen Orten der Welt<br />
ohne jegliche Gebundenheit zu einer festen Kanzleiräumlichkeit ermöglicht, ist ein Irrglaube. Der<br />
Rechtsanwalt dient der Rechtspflege und bedarf dazu auch eines festen Bezugspunkts, die denklogisch<br />
nur in einer Kanzleipflicht begründet liegen kann.<br />
Die Prognose von PRÜTTING (PRÜTTING, AnwBl 2011, 46, 47.), dass langfristig die Vorstellung eines räumlich<br />
erreichbaren Kanzleiorts durch die Möglichkeiten der Digitalisierung überholt sei, verkennt, dass gerade<br />
auch eine sog. reine Telekanzlei ebenso wie jede andere Kanzlei einen festen örtlichen Bezugspunkt<br />
braucht. Ist eine Anschrift nicht bekannt, kann eine Person auch nicht verklagt werden. Daran ändern<br />
auch die Möglichkeiten des elektronischen Anwaltspostfachs nichts. Klageschriften werden stets auch<br />
zur Konkretisierung der bevollmächtigten Person klare Anschriften des Prozessbevollmächtigten im<br />
Rubrum benötigen. Wird eine Anwaltskanzlei von einem Mandanten verklagt, braucht sie eine Anschrift.<br />
Die ZPO ermöglicht zwar, einen rein elektronischen Prozess zu führen mit elektronischer<br />
Einreichung von Schriftsätzen und Zustellungen, mit mündlicher Verhandlung durch Videokonferenz,<br />
mit elektronischem Protokoll und Aktenführung sowie jedenfalls teilweiser elektronischer Beweisaufnahme<br />
(§§ 128a, 130a, 130b, 160a, 298a, <strong>19</strong>9a, 371a, 416a ZPO). Jedoch sind der Digitalisierung auch<br />
Grenzen gesetzt. Selbst wenn die elektronische Entwicklung noch weiter gehen wird, an dem<br />
Erfordernis einer gewissen Erreichbarkeit des Rechtsanwalts in einer Kanzlei ändert sich doch nichts<br />
allein deshalb, weil sich die Arbeitsweisen eines Rechtsanwalts mit dem Aufkommen von elektronischen<br />
Prozessen verändert haben. Auch eine reine „Telekanzlei“, also eine Kanzlei, die anwaltliche Beratung<br />
ausschließlich mithilfe von Telekommunikationsmitteln ausübt, unterscheidet sich doch nicht von einer<br />
„herkömmlichen“ Kanzlei. Sie entscheidet sich eben nur dadurch, dass sie Mandanten nicht mehr bei sich<br />
persönlich empfängt, sondern sie nur noch über Telekommunikationswege betreut. Sie machen aus<br />
einer schon bei jedem Rechtsanwalt bestehenden anwaltlichen Übung, mit dem eigenen Mandanten<br />
gelegentlich zu telefonieren oder über E-Mail mit ihm zu kommunizieren, eine Ausschließlichkeit. Eine<br />
1038 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>19</strong> 10.10.<strong>20<strong>19</strong></strong>