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ZAP-2019-19

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Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1181<br />

Virtuelle Kanzlei und Zweigstelle<br />

solche Kanzlei schränkt also die Kontaktmöglichkeiten zu ihren Mandanten ein. Was daran für den<br />

einzelnen Mandanten bei sachlicher Betrachtung reizvoller sein soll, d.h. ausschließlich ohne<br />

persönlichen Kontakt mit dem Rechtsanwalt seinen Rechtsfall betreuen zu lassen, erschließt sich<br />

jedenfalls nicht unmittelbar. Insbesondere ist von solchen Kanzleien ein kurzfristiger rechtlicher Rat zu<br />

erwarten, aber wohl kaum eine anwaltliche Vertretung etwa vor Gerichten oder Behörden.<br />

Dennoch ändert sich nichts daran, dass auch eine Telekanzlei, die sich eben nur die Möglichkeit der<br />

persönlichen Begegnung mit dem Mandanten nimmt, an einem festen Ort auch ansässig sein muss,<br />

d.h. irgendwo eine Kanzlei i.S.v. § 27 Abs. 1 BRAO unterhalten muss. Schon allein die Pflicht zur<br />

Vertraulichkeit der Rechtsberatung macht es erforderlich, dass die Beratung im Grundsatz aus<br />

geschlossenen Räumen heraus erfolgen muss. Klar muss auch sein, wer im Falle eines Anwaltsregresses<br />

bei falscher anwaltlicher Beratung in Anspruch genommen werden kann und wie er<br />

erreichbar ist.<br />

Ein Rechtsanwalt hat nach der BRAO und BORA zudem vielfältige Pflichten, die er verletzen würde,<br />

wenn er nicht auch an einem festen Bezugsort ansässig sei, der sich innerhalb des Bundesgebiets fest<br />

bestimmen lassen muss. Die Ausübung der Rechtspflege wäre gefährdet, wenn er nicht an einen festen<br />

Bezugsort zu erreichen wäre. Zu nennen ist etwa das Akteneinsichtsrecht aus § <strong>19</strong> BORA, das dem<br />

Rechtsanwalt ermöglicht, in Originalunterlagen von Gerichten und Behörden in seiner Kanzlei Einsicht<br />

zu nehmen.<br />

Auch die Möglichkeit des Freiberuflers, seinen Lebensmittelpunkt in ein anderes Land oder gar auf<br />

einen anderen Kontinent zu verlegen, ändert daran übrigens nichts. Es ist der Fall eines Fachanwalts für<br />

Medizinrecht bekannt, der in einer kleinen Ortschaft im Westerwald mit anderen Rechtsanwälten eine<br />

Partnerschaftsgesellschaft als Partner betrieb, seinerseits aber den wohl überwiegenden Teil seines<br />

Lebens seinem Lebenstraum widmete, in einer Hütte in Ostkanada zu leben. Zum einen sieht § 29 Abs. 1<br />

BRAO Befreiungstatbestände von der Kanzleipflicht vor, wenn sie im Interesse der Rechtspflege und<br />

zur Vermeidung von Härten dienen.<br />

Eine Befreiung nach § 29a BRAO von der Verpflichtung nach § 27 Abs. 1 BRAO setzt voraus, dass der<br />

Rechtsanwalt seine Kanzlei in einem anderen Staat eingerichtet hat bzw. unterhält.<br />

Eine Niederlassung in „anderen Staaten“ ist möglich, insoweit es sich dabei um EU-Mitgliedstaaten,<br />

EWR-Vertragsstaaten, die Schweiz oder GAZ-Vertragsstaaten handelt. Die Voraussetzungen, unter<br />

denen deutsche Rechtsanwälte im Ausland rechtlich tätig werden können, richten sich neben den<br />

Bestimmungen des Heimatlandes vor allem nach denen des aufnehmenden Staates.<br />

Zum anderen setzt die Kanzleipflicht gar nicht voraus, dass der Rechtsanwalt täglich von z.B. 9 Uhr bis<br />

16 Uhr sich in seiner Kanzlei am Gerichtsort aufhalten muss.<br />

Nur zur Fairness und zur Vermeidung einer Täuschung des Verkehrs gehört es dann auch dazu, dass<br />

Mandanten von vornherein darüber aufgeklärt werden, dass sich ihr Rechtsanwalt z.B. vorwiegend in<br />

Kanada aufhält, also für persönliche Unterredungen nur unter erschwerten Bedingungen ansprechbar ist.<br />

Anders liegt aber der Fall, wenn der Rechtsanwalt eine Kanzleigröße und Kanzleianwesenheit vortäuscht,<br />

die gar nicht vorhanden ist, in dem er die Öffentlichkeit in die Irre führt, in direkter örtlicher<br />

Nähe präsent zu sein (dabei ist es für einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot nicht erforderlich,<br />

dass eine Täuschung des Verkehrs bzw. einzelner Verkehrsteilnehmer tatsächlich eingetreten ist.<br />

Vielmehr genügt nach dem klaren Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 1 UWG, dass eine Angabe geeignet ist, die<br />

Umworbenen irrezuführen und sie zu falschen Entscheidungen zu beeinflussen (vgl. BORNKAMM/FEDDERSEN<br />

in: KÖHLER/BORNKAMM/FEDDERSEN, UWG, 36. Aufl., § 5, Rn 1.52 und 1.171).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>19</strong> 10.10.<strong>20<strong>19</strong></strong> 1039

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