UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
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Autorin Margoth Overath veröffentlicht 9 ,
welche die Ermittlungen und
Widersprüche aus 15 Jahren
Ermittlungen zum Tod Oury Jallohs am 7.
Januar 2005 in einer Dessauer
Polizeizelle zusammenfasst. Die Autorin
Margot Overath kommt darin zum
Schluss, dass es ein Fall sei, bei dem
systematisch vertuscht wurde und es
keine unabhängigen Ermittlungen
gegeben habe. Die mehrteilige Reihe legt
nahe, dass Jalloh von Polizisten in Dessau
getötet worden ist.
Systematische Vertuschung
Kaum eine Stunde nach der
Entdeckung der verkohlten Leiche haben
sich die Verantwortlichen der Dessauer
Polizei festgelegt: Der Mann in der Zelle
soll sich selbst angezündet haben. Sie
werden an dieser Version festhalten;
über viele Jahre und
Gerichtsverhandlungen hinweg, gegen
jede Logik und immer neue Indizien. Es
kann nicht sein, was nicht sein darf.
Fakt: Oury Jalloh hatte kein Zündmittel,
um den Brand zu legen!
Das Feuerzeug, dass erst drei Tage nach
dem Brand auftauchte, kann aufgrund
der Spurenlage nicht am Tatort gewesen
sein: Es enthält ausschließlich
tatortfremde Fasern und DNA, die mit
Sicherheit nicht von Oury Jalloh ist,
sondern von einem Europäer stammt.
Unter öffentlichem Druck lässt die
Strafverfolgungsbehörde das Feuer
rekonstruieren – ohne
Brandbeschleuniger ist es nicht zu
erklären. Ein leitender Oberstaatsanwalt
will wegen Mordverdacht ermitteln – und
wird von seinem Vorgesetzten
ausgebremst. Neue Erkenntnisse
kommen ans Licht – Oury Jalloh muss vor
seinem Tod schwer misshandelt worden
sein. Beamte berichten anonym, wie
autoritäre Strukturen und brutale
Polizeitraditionen fortleben.
Aufwendige Ermittlungen gegen einen
staatlichen Apparat oder Einstellung des
Verfahrens? Vor diese Alternative gestellt
entscheidet sich die
Generalstaatswaltschaft von Sachsen-
Anhalt für Letzteres. Und das oberste
Gericht folgt ihr. Die Selbstmordthese
wird wieder belebt – und die Uhr 15
Jahre zurückgedreht. Im Landtag wird
die Frage laut, was für den Rechtsstaat
schlimmer sei: Dass Polizisten einen
Menschen verbrennen oder dass es
herauskommt?
Erschreckender-
und
bezeichnenderweise war Oury Jalloh
nicht der erste Tote in und um das
Dessauer Polizeirevier. Die Reporterin
Margot Overath beschäftigte sich auch
mit zwei Todesfällen in und im Umfeld
dieser Wache von 1997 und 2002. Beide
Ermittlungsverfahren wurden damals
ebenfalls eingestellt. Der
Oberstaatsanwalt hielt es 2017 für
möglich, dass Oury Jallohs Tod auch
deshalb als Suizid dargestellt wurde,
damit die Fälle nicht noch einmal
untersucht werden. Ein Informant
berichtete der Autorin, wie Polizisten
ihre Machtgelüste an hilflosen
Schutzbefohlenen auslebten. Das war
nicht nur in der Wache bekannt, ihr
Verhalten wurde auch von Vorgesetzten
gedeckt und ging zurück auf Traditionen
aus Zeiten der Volkspolizei, die Angst
machen sollten.
Rassistisch motivierte
Polizeivorfälle
Die Polizei ist die einzige Gruppe
in Deutschland, die dazu berechtigt ist,
körperliche Gewalt anzuwenden und
Waffengebrauch einzusetzen. Dabei sind
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https://www.ardaudiothek.de/oury-jalloh/75229674
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