UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
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Initiative 19. Februar
Wenn es dann noch heißt, es wurden 9
Menschen in einer oder in mehreren
Shisha-Bars ermordet, oder noch
schwammiger und reißerischer
„Schießerei in Shisha-Bar“, werden
jegliche rassistische Klischees und
Vorurteile bedient und bevor man
handfeste Informationen hat und die Tat
als einen rechten Terrorakt einstufen
kann, schießen einem sofort Bilder und
Theorien in den Kopf, die von den Medien
jahrelang geschaffen und erfolgreich
etabliert wurden.
Bei der Schlagzeile „Schießerei in
Shisha-Bar“ – und das noch in einer
migrantisch geprägten Stadt wie in
Hanau – denkt keine*r als Erstes an
einen Nazi, der neun unschuldige junge
Menschen aus purem Hass und
Rassismus ermordet.
Auch die Polizei, die dann irgendwann
mal am Heumarkt ankam, verschenkte
unfassbar viel wertvolle Zeit damit, die
Gegend abzusperren und jeden
migrantisch gelesenen Menschen auf den
Straßen und in den Lokalen sich an die
Hauswände stellen zu lassen und zu
durchsuchen, wie man auf vielen
Handyaufnahmen von Anwohnern sehen
kann. Zu dieser Zeit war der Täter
bereits in Kesselstadt gewesen und hat
dort 6 weitere Menschen erschossen. Es
verging mehr als eine Stunde, nachdem
die ersten Schüsse am Heumarkt fielen.
Auch das Haus des Täters wurde erst
mitten in der Nacht gegen halb 4 Uhr
nachts gestürmt, obwohl mehrere
Augenzeugen bereits gegen 22 Uhr das
korrekte Nummernschild des Täters bei
der Polizei angaben. Es ist bezeichnend
für die Polizei und für eine Gesellschaft,
in der die Kriminalisierung von
Unschuldigen aufgrund ihres Aussehens
und ihres Namens derart verankert ist,
und reale Gefahren, die von Nazis mit
deutschen Wurzeln und deutschen
Namen ausgehen, in solchen
Ausnahmezuständen gar nicht erst in den
Sinn kommen. Das führt letztendlich
dazu, dass solche Taten überhaupt
möglich sind, dass Warnsignale nicht
ernst genommen werden, dass diese
Täter im schlimmsten Falle sogar noch
geschützt, motiviert werden, und dass
am Ende eben so viel Zeit verschwendet
wird, dass es für den Täter möglich war,
innerhalb von 12 Minuten an 4
verschiedenen Tatorten 9 junge
Menschen zu töten und danach sogar
noch stundenlang zu Hause sein zu
können, bevor die Polizei eintraf und
agierte.
Wie wird mit den
Rassismuserfahrungen
der
Angehörigen und Opfer und ihrem
spezifischen Wissen umgegangen?
In der Öffentlichkeit leider gar
nicht. Die Behörden sind sich darüber
bewusst, dass den Familien und vielen
Bürger*innen, die das Geschehen
beobachten und verfolgen, das
behördliche Versagen bewusst ist, jedoch
kam es bis heute zu keiner
Stellungnahme und zu keinen weiteren
Maßnahmen. Die Respektlosigkeit der
Polizei hat sich in den vergangenen
Monaten nur noch weiter zugespitzt. Es
gab keine greifenden Maßnahmen, was
die Schützenvereine und das Mitnehmen
der Waffen und der Munition mit nach
Hause betrifft. Es gab keine greifenden
Maßnahmen, was die Kommunikation
zwischen BKA, GBA und den
Waffenbehörden zur Überprüfung von
solchen Manifesten und den Verfassern
solcher Manifeste betrifft. Es wird vieles
mit Corona entschuldigt und
gerechtfertigt – so wie zum Beispiel auch
das sehr kurzfristige Verbot der von uns
geplanten Demonstration am 22.08.20.
Wenn man sich anschaut, was in
Deutschland trotz Corona dennoch
erlaubt und noch im Rahmen des
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