UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
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Polizist*innen nicht rassistischer als
andere Menschen. Ihre Arbeit hat jedoch
tödliche Folgen. Die Polizei bedarf daher
effektiver Beobachtungs- und
Kontrollmechanismen. Während jedoch
die Befugnisse der Polizei immer weiter
ausgebaut werden, kann die
Ausarbeitung von Normen der
Rechenschaftspflicht und von
Aufsichtsmechanismen damit nicht
mithalten. In den Ländern, in denen die
Polizei dazu verpflichtet ist, ihre
durchgeführten Kontrollen zu
dokumentieren, zeigt sich deutlich, dass
People of Color häufiger kontrolliert
werden. So werden beispielsweise
(junge) Männer of Color meist in
Zusammenhang mit Drogenhandel,
Terror und Gewalt dargestellt. Die
Berichterstattung zu der rassistischen
Mordserie von 2000 bis 2007 durch die
Vereinigung Nationalsozialistischer
Untergrund (NSU) ist nur ein Beispiel für
die Entmenschlichung und
Kriminalisierung von People of Color. Die
Polizei vermutete Killer aus dem
türkischen Drogenmilieu hinter den
Taten, die Rede war von „Döner-
Morden“. Beispiele der damaligen
Berichterstattung:
Möglicherweise handle es sich um
Verbindungen „in den Rauschgiftbereich“
(Die Welt) oder um das „brutale
Vorgehen von albanischen Banden, die
Türken für sich arbeiten lassen“
(Nürnberger Nachrichten). Die Bild-
Zeitung nannte „vier heiße Spuren“:
„Drogenmafia, organisierte Kriminalität,
Schutzgeld, Geldwäsche“. Bedient wurde
auch die leidige „Integrationsdebatte“
wie im Spiegel: „Die schwer
durchdringbare Parallelwelt der Türken
schützt die Killer.“
Amnesty International hatte von 1992
bis 1995 mehr als 70 Berichte erhalten,
in denen unverhältnismäßige oder
ungerechtfertigte Gewalt durch
Polizist*innen dokumentiert wurde, die
sich primär gegen Migrant*innen
richtete.
Die
Menschenrechtsorganisation zeichnete
auf Grundlage dieser Vorfälle nach, dass
die Diskriminierung von ethnischen
Minderheiten durch die Polizei ein
grundlegendes Muster bildete. 10
Die wiederkehrenden Berichte über
Rassismus innerhalb der Polizei
verdeutlichen die Notwendigkeit einer
forschungsbasierten,
kritisch
reflektierenden Diskussion über die
Verbreitung von extremistischen, die
Demokratie gefährdenden Einstellungen
bei Polizist*innen und über Strukturen,
die diskriminierende Handlungspraktiken
ermöglichen. Der Arbeitskreis II der
Innenministerkonferenz, der sich
inhaltlich mit dem Themenfeld der
Inneren Sicherheit, unter anderem mit
der Gefahrenabwehr und der
Bekämpfung des Terrorismus beschäftigt,
beauftragte Mitte der 1990er-Jahre die
Polizeiliche Führungsakademie (heute:
Deutsche Hochschule der Polizei) mit der
Umsetzung einer wissenschaftlichen
Studie zum Thema „Fremdenfeindlichkeit
in der Polizei“. Aus ihr geht hervor, dass
stereotypische Einstellungen unter
Polizist*innen vornehmlich auf die
Belastungen des Polizeialltags
zurückgeführt wurden, die im
großstädtischen Umfeld ungleich
häufiger und intensiver mit als „fremd“
10
Vgl. Hans-Jörg Albrecht, Polizei, Diskriminierung
und Fremdenfeindlichkeit in multi-ethnischen
Gesellschaften, in: Andreas Donatsch/Marc
Forster/Christian Schwarzenegger (Hrsg.),
Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte,
Zürich 2002, S. 327–354.
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