UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
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wahrgenommenen Menschen in
Verbindung gebracht werden. 11
Problematisch erscheint in diesem
Zusammenhang die weitgehende
Abschottung seitens der Polizei gegenüber
diesem Thema und die kategorische
Weigerung der Anerkennung durch
Politiker*innen, dass strukturelle
Gegebenheiten diskriminierende Wirkung
entfalten können. So wird bei der Frage,
inwiefern extremistische Strukturen in
Sicherheitsbehörden wie der Polizei
vorhanden sind, wiederholt auf
„Einzelfälle“ verwiesen. Bei der Frage nach
rassistischen Handlungspraktiken werden
Forschungen zudem vom
Bundesinnenministerium mit der nicht
schlüssigen Argumentation, dass Racial
Profiling ja ohnehin verboten sei und
deshalb nicht vorkomme, für nicht
notwendig erachtet. Auffällig ist dabei,
dass Gegner*innen entsprechender Studien
denjenigen, die wissenschaftliche
Untersuchungen befürworten, unterstellen,
sie würden der Polizei gegenüber einen
Generalverdacht aussprechen.
Institutioneller Rassismus
Nach dem gewaltsamen Tod von
George Floyd in den USA protestieren
weltweit Menschen in Solidarität gegen
rassistische Polizeigewalt. Doch bei den
Protesten in Deutschland machten
Schwarze Aktivist*innen auch auf den
institutionellen Rassismus in Deutschland
aufmerksam. Denn auch hier sind
Schwarze Menschen und andere People of
Color von Racial Profiling und
Rassismus durch die Polizei betroffen.
Der Begriff des institutionellen Rassismus
wurde erstmals im Kontext der USamerikanischen
Black Power-
Bürgerrechtsbewegung von Stokely
Carmichael (heute: Kwame Ture) und
Charles V. Hamilton geprägt.
11
Vgl. Bornewasser et al. (Anm. 9); Jaschke (Anm. 9);
Matthias Mletzko/Cornelia Weins, Polizei und
Fremdenfeindlichkeit, in: Monatsschrift für
Kriminologie und Strafrechtsreform 2/1999, S. 77–
93, hier S. 77ff.
Als politisch-strategischer Begriff sollte er
eine Erklärung anstatt anbieten, warum
trotz Fortschritten bei der formalrechtlichen
Gleichstellung materielle
Verbesserungen der Lebensbedingung von
People of Color ausblieben.
Institutioneller Rassismus sollte demnach
analytisch subtilere und verdecktere
Diskriminierungsformen erfassen und von
offenen, individuellen Rassismen
abgrenzen können, um aufzuzeigen, dass
Rassismus ein gesellschaftlich tief
verankertes Problem darstellt und sowohl
ideologische als auch soziale Prozesse
umfasst. Im europäischen Diskurs gewann
der Begriff vor allem in den späten 1990er-
Jahren an Bedeutung, als der sogenannte
MacPherson-Report institutionellen
Rassismus als zentrale Ursache für
erfolglose Ermittlungen nach einem
rassistisch motivierten Tötungsdelikt in
Großbritannien benannte. Die MacPherson-
Kommission definierte institutionellen
Rassismus darin als das „kollektive
Versagen einer Organisation, Menschen
aufgrund ihrer Hautfarbe, Kultur oder
ethnischen Herkunft eine angemessene
und professionelle Dienstleistung zu
bieten“ 12 .
Die einzige Möglichkeit, um die
rassistischen und kriminalisierenden
Praktiken der Polizei in ihren Mustern und
Systematiken offenzulegen und darüber
hinaus den strukturellen und
institutionellen Rassismus in Deutschland
sichtbar zu machen und zu bekämpfen, ist
die Perspektive der Betroffenen zu hören
und ihr Geltung zu verschaffen. Auch
verdeutlichen die Erfahrungsberichte die
Notwendigkeit und Dringlichkeit einer
unabhängigen, kontrollierenden Instanz
und einer Reform der Polizei – denn keine
Konsequenzen für rassistische Praktiken
kommen einer Legitimation gleich.
12
MacPherson of Cluny 1999, zit. n. Hasse/Schmidt
2012: 887
15