UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
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Initiative 19. Februar
Es kann unmöglich der Fall gewesen
sein, dass er den Behörden
„durchgerutscht“ ist. Es war ganz
eindeutig bewusste Ignoranz vonseiten
der Behörden – was sich eben jetzt, sechs
Monate später, weiterhin in der Nicht-
Aufarbeitung des 19. Februar zeigt.
Rechter Terror ist momentan die
größte Bedrohung für unsere
Demokratie. Doch es wird bei Weitem
immer noch nicht so ernst genommen,
wie es sein sollte. Weiterhin wird die
Migration kriminalisiert: unsere Leben,
unsere Biografien, unsere Zufluchtsorte
wie Shisha-Bars werden kriminalisiert,
wir werden zur Zielscheibe für solche
Attentäter gemacht, die sich von der
Regierung und von ihrer Dialektik dazu
berufen fühlen, im Sinne der Regierung,
der Nation, zu handeln, wenn sie solche
Morde begehen. Diese Schande zieht
sich schon viel zu lange durch
Deutschland, doch was es viel
beschämender macht, ist das Nicht-
Handeln, das Nicht-Reagieren und diese
totale Ignoranz unserer Lebensrealitäten
und unserer Gefährdung in diesem Land.
Wie kann eure Initiative dieser
Verrohung etwas entgegensetzen?
Unsere höchste Priorität ist es, den
Betroffenen und den Familien, die ihre
Kinder verloren haben, Gehör zu
verschaffen. Ihnen eine Plattform
aufzubauen und zu bieten, damit sie ihre
Geschichten und die ihrer Kinder
erzählen können. Damit die Namen und
Gesichter ihrer Kinder nicht vergessen
werden, damit diese Tat nicht vergessen
wird und einfach wieder zur
Tagesordnung zurückgekehrt wird.
Denn für sie und für Hanau wird es kein
Zurück zur Normalität mehr geben.
Sie haben ganz klare Forderungen. Sie
wollen nicht, dass ihre Kinder umsonst
gestorben sind. Sie wollen Veränderung
sehen und weitere Eltern und Familien
davor bewahren, dasselbe Leid
durchmachen zu müssen wie sie. Sie
wollen Gerechtigkeit. Und das sollte in
einer Demokratie ebenfalls oberste
Priorität haben, doch bis heute hat
sich kaum etwas getan. Der Gedanke,
dass die Akten einfach geschlossen und
die „Fälle“ wieder unter den Teppich
gekehrt werden, ist beängstigend. Doch
aus der Erfahrung heraus liegt diese
Möglichkeit leider sehr nahe.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass die
Zivilgesellschaft und auch die
Betroffenen und Hinterbliebenen sich
selbst organisieren, und die Arbeit
leisten, die die Regierung versäumt.
Denn sie sind nicht alleine. Es herrscht
unfassbar viel Solidarität mit Hanau, die
Unterstützung aus der Zivilgesellschaft
ist weiterhin sehr groß und gibt
Hoffnung und auch Kraft,
weiterzumachen.
Was für dringende Fragen haben sich
nach dem Anschlag ergeben und was
sind eure Forderungen und
Wünsche?
Die größte Frage ist natürlich die
nach der Arbeit bzw. Nicht-Arbeit der
Behörden in Bezug auf den Täter und all
die Warnsignale. Auch Vilis Anrufe und
seine Zivilcourage, die zu seinem Tod
führte, ist ein großes Thema, zu dem bis
heute noch keine offizielle behördliche
Stellungnahme erfolgte.
Es gibt von behördlicher Seite wenig
Kommunikation, kaum ein Dialog auf
Augenhöhe mit den Familien. Es gab
bisher viele Treffen mit Politiker*innen,
doch es wurde bis heute keines der von
ihnen geleistete Versprechen umgesetzt.
Nicht mal ein Prozess in Gang gesetzt.
Viele Familien können in ihren
derzeitigen Wohnungen nicht mehr leben
und bleiben. Die Familien aus Kesselstadt
wohnen alle unmittelbar direkt neben
dem Tatort oder neben dem Haus des
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