UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V.
Opfer häufiger, nicht zuletzt rassistischer
Kontrollen, mit denen sich die Polizei ihre
eigenen Vorurteile immer wieder bestätigt.
Geflüchtete und Migrant*innen, die
bedroht werden, machen auch dann, wenn
sie die Polizei rufen, häufig die Erfahrung,
dass sie nicht beschützt werden: Die Polizei
kommt erst spät und verfolgt anstelle der
Täter diejenigen, die Opfer von Gewalt
geworden sind.
Gerade wenn die Beamten in sozialen
Brennpunkten arbeiten, kann es
bewusst oder unbewusst zu
Stigmatisierungen/Vorurteilen/rassistis
ches Verhalten gegenüber bestimmte
Personenkreise (Clans, Menschen mit
Migrationshintergrund...) kommen.
Bist du davon überzeugt, dass
rassistische Einstellungen im
Arbeitsalltag erworben werden?
Tahir: Ja, das merken wir auch von
den Reaktionen der Polizei. Wenn wir
rassistische Kontrollen und Maßnahmen
ansprechen, wird oft begegnet: „Wir haben
keine Ahnung vom Polizeialltag.“ Wenn wir
aber davon ausgehen, dass die Polizei an
bestimmten Orten eine bestimmte Gruppe
von Menschen kontrolliert, sollten wir uns
doch fragen, woran das liegt. Auf der
anderen Seite führen diese
Verhaltensmuster ja auch zu rassistischen
Vorurteilen, die sich auf eine bestimmte
Personengruppe konzentriert.
Was könnte, ja müsste sich in dieser
Hinsicht und in Bezug auf den
Polizeiapparat ändern?
Tahir: Wir brauchen eine
Überprüfung des demokratischen
Selbstverständnisses in der Polizei, dass
Rassismus im „historischen Bewusstsein“
nicht verschwunden ist. Wir brauchen
Fortbildung, Ausbildung, wo rassistisches
Denken zu adressieren. Und wir brauchen
für die Betroffenen von rassistischer
Gewalt unabhängige Anlauf- und
Beschwerdestellen, mit Kompetenzen und
Mitteln ausgestattet, die gegen Behörden
und Justiz vorgehen können. Das neue
LADG in Berlin ermöglicht das: sowohl
Klagen gegen Behörden Einzelne*r, als
auch die Möglichkeit für Verbände,
Klagerecht zu erhalten. Aber vor allem
brauchen wir eine Überprüfung: Wozu ist
die Polizei eigentlich da? Um Straftaten zu
verhindern und ermitteln, nicht aber, um
Menschen zu Kriminellen zu machen oder
kriminelle Machenschaften nur dann
verfolgen, wenn sie in ein bestimmtes
Raster fallen und bei anderen Sachen
anders reagieren.
Da werden Befugnisse überschritten…
Tahir: Absolut. Die werden in
bestimmte Bereiche überschritten. Das
geht bei den Kontrollen los und hört bei
Mord und deren Vertuschung auf.
Wie so oft, müssen leider erst
tragische Ereignisse herhalten, über
Rassismus zu reden. Auch du bist der
Meinung, dass Rassismus kein
Tabuthema ist. Eine erfreuliche
Entwicklung?
Tahir: Erfreulich würde ich nicht
sagen, aber enorm wichtig. Als wir 1985
gegründet wurden, war das ein absolutes
Tabuthema. Beim Thema „Anti-Schwarzer
Rassismus“ bist du auf Verwunderung
gestoßen. Das hat sich heute stark
verändert. Wir merken auch, dass aus der
jüngeren Schwarzen Bewegung heraus
wissenschaftliche, politische und kulturelle
Bereiche entstanden sind, die sich mit
Rassismus beschäftigen. Aber auch die
Medien sprechen wie jüngst die
rechtsorientierten Anschläge in Hanau von
Rassismus, was vor fünf Jahren noch unter
die
Rubrik
„Menschenfeindlichkeit/Ausländerfeindlich
keit“ abgeheftet worden wäre. In der
öffentlichen Wahrnehmung hat sich was
getan.
Tahir, wie bist du in deinem Alltag mit
Diskriminierungserfahrungen
57