UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
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Initiative 19. Februar
Angehörigen und Menschen in Hanau
weiterhin im Alltag praktiziert wird.
Rückblickend betrachtet war der
rassistische/rechtsterroristische
Anschlag in Hanau nach Aussage
vonseiten der Betroffenen die
logische Folge der extrem rechten
Gesamtstrategie der letzten Jahre.
Was sagt das über die Qualität der
(demokratischen) Gesellschaft
hinsichtlich der Verwirklichung von
Freiheits-, Sicherheits- und
Gerechtigkeitsaspekten aus?
Es zeigt uns leider wieder mal, inwiefern
Jugendliche oder Menschen mit
ausländischen Wurzeln nicht genauso
geschützt werden wie Menschen ohne
jeglichen Hintergrund. Die Behandlung
der Verletzten und Überlebenden in der
Nacht vom 19. Februar 2020 kann
ausschließlich als reinste Schikane
bezeichnet werden. Die Polizei war viel
zu spät vor Ort, obwohl die Wache
weniger als 500 m Luftlinie vom ersten
Tatort entfernt liegt. Die Rettungskräfte,
die schon viel früher vor Ort waren,
durften vor Ankunft der Polizei nicht
rein, um Erste Hilfe zu leisten. Hanau ist
eine Stadt mit sehr viel Polizeipräsenz,
gerade am Heumarkt und in Kesselstadt,
doch am 19. Februar 2020 wurden sie
ihrem Beruf einfach nicht gerecht.
Überlebenden wurden gesagt, sie sollen
knapp 3 km in die Innenstadt zur
Polizeiwache laufen, um dort ihre
Aussage zu machen. Als es
fälschlicherweise hieß, der Täter käme
zurück, versteckten sie sich hinter den
Verletzten und benutzten sie als
Schutzschild. Als Vili Viorel Paŭn die
Schüsse am Heumarkt mitbekam und
den Täter mit seinem Auto bis nach
Kesselstadt verfolgte, rief er unterwegs
viermal bei der Polizei an, doch die
Anrufe wurden nicht
entgegengenommen. Wenige Momente
später wurde Vili in Kesselstadt in
seinem Auto erschossen.
Auch nach dem 19. Februar
wurden die Jugendlichen in Kesselstadt
weiterhin grundlos kontrolliert, zum Teil
auch geschlagen. Die neun jungen Opfer
wurden ohne Einverständniserklärung
der Eltern obduziert und erst mehr als
eine Woche danach in einem unwürdigen
Zustand den Familien übergeben. Und
das ist alles nur ein Bruchteil des
Versagens und des respektlosen
Verhaltens der Polizei und der Behörden,
die mit dem 19. Februar einhergehen.
Viele Angehörige wissen, dass, wenn ihre
Kinder mit ihrem Namen ein solches
„Manifest“ wie der Täter mehrfach an
das BKA geschickt hätten, dass es keine
2 Sekunden gedauert hätte, bis die
Polizei vor ihrer Tür gestanden hätte.
Doch im Falle eines Mannes mit einem
deutschen Namen wurden mehrere
Strafanzeigen einfach ignoriert. Nicht
einmal die Homepage des Täters, auf die
er ebenso mehrfach verwies, wurde
überprüft, wobei man hier sogar sein
Bekennervideo gefunden hätte. Es wurde
nicht überprüft, ob er Waffen besitzt und
ob er eine reale Gefahr darstellt. Er
machte aus seiner rechten Gesinnung
und seinen Gewaltfantasien keinen Hehl,
er gab sich persönlich direkt bei den
Behörden mehrfach zu erkennen, er
veröffentlichte unter seinem Klarnamen
Manifeste und Bekennervideos – nicht im
Darknet – frei zugänglich und offen im
www und auf Youtube. Und das bereits
seit Jahren.
«Es war ganz eindeutig bewusste
Ignoranz vonseiten der Behörden –
was sich eben jetzt, sechs Monate
später, weiterhin in der Nicht-
Aufarbeitung des 19. Februar zeigt.»
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