UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
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oder sie überhaupt als relevantes
Phänomen zu akzeptieren?
Rassismus und generell
Unterdrückung basiert auf racial
gaslighting 3 . Das heißt, dass Menschen,
die unterdrückt werden, unterstellt wird,
dass sie sich das einbilden. Gaslighting
ist eine Form von psychischer
Manipulation, ein Machtinstrument.
Betroffene Menschen werden immer
wieder in Zweifel gebracht und ihnen
wird nicht geglaubt.
Vergewaltigungsvorwürfe werden in
Zweifel gebracht, bis von Gewalt
betroffenen Menschen selbst glauben
sollen, an ihrem Verhalten schuld zu sein.
Und wer in weißen Räumen Rassismus
benennt, bekommt gerne Antworten wie:
„Das war doch nicht so gemeint“. Es ist
eine bewusst angewendete Taktik, mit
der Vorwürfe des Rassismus entgleisen
und die Kontrolle auf den/die Ankläger*in
verlagert werden. Sie werden
gezwungen, ihre eigene Reaktion auf den
Rassismus und nicht den Rassismus
selbst infrage zu stellen und neu zu
bewerten. Ein klassisches Beispiel für
racial gaslighting ist, dass eine Poc-
Person eine rassistische Interaktion
beschreibt, um sie sofort infrage zu
stellen. „Sind Sie sicher, dass es darum
ging?“, „Ging es definitiv um die
Hautfarbe?“, „Aber ich glaube nicht, dass
es um Rassismus ging.“ Der Zweck
dieser Fragen/Aussagen ist es, dass die
Person, die Rassismus erlebt hat,
überdenkt, woran sie sich erinnert und
wie sie die Ereignisse interpretiert hat.
In ähnlicher Weise ist es rassistisch, die
Existenz von systemischem Rassismus zu
leugnen, wenn eine PoC-Person sagt,
dass er tatsächlich existiert. Ein Crux,
denn während überwiegend PoC-
Menschen Rassismus erfahren, müssen
sie auch gleichzeitig lernen, diesen zu
bekämpfen, während andere Rassismus
leugnen und deine Denkweise, dein
Verhalten hinterfragen, verdrehen und
untergraben, was PoC-Menschen für
wahr halten. Racial Gaslighting ist also
ein wirkungsvolles Mittel, um zum einen
sicherzustellen, dass Rassismusvorwürfe
an Glaubwürdigkeit verliert und zum
anderen durch weiße Privilegien und
weiße Vormachtstellung und die
bestehenden rassisierten Hierarchien in
unserer Gesellschaft funktioniert.
«Wir haben in diesem
Zusammenhang eine klare Vision: die
intersektionale Gerechtigkeit
voranzubringen.»
Wie können sich hieraus
intersektionelle Forschungsansätze
und
erfolgversprechende
antirassistische Anküpfungspunkte
ableiten?
Wer trägt die Verantwortung im
Umgang mit Rassismus? Eine kleine
Gruppe von betroffenen Menschen oder die
Gesamtgesellschaft? Solange die vielen
historischen Genozide und Rassismen nicht
aufgearbeitet werden, ist es sehr, sehr
schwierig, antirassistisch erfolgreich zu
arbeiten, weil die gesamtgesellschaftliche
Verantwortung ausgeblendet wird. Die
deutsche Kolonialgeschichte ist nicht
aufgearbeitet, die NS-Verbrechen an Sinti
und Roma ist nicht aufgearbeitet. Wir
haben in diesem Zusammenhang eine klare
Vision: die intersektionale Gerechtigkeit
voranzubringen. Diese Konzeption sollte
von Forschungsarbeiten begleitet werden,
die die Wirkungsweisen der Methoden in
der praktischen Umsetzung untersuchen,
um herauszufinden, inwieweit sich ein
Verständnis intersektionaler Komplexität
und der sich daraus ergebenden
persönlichen
Handlungsoptionen
vermitteln lässt mit dem Ziel, Rassismus
bedingungslos zu bekämpfen.
3
„Gaslighting“ nennt man Verhalten, durch das jemand
anderes an der eigenen psychischen Gesundheit
zweifelt.
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