UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
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Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
seiner Zelle aufgefunden. Die Polizei
spricht von Suizid.
Die Aufklärung der Umstände ihres
Todes wären beinahe uneingefordert
geblieben, hätte es nicht die Netzwerke
von Freund*innen, Verwandten und/oder
Aktivist*innen gegeben, die einen
öffentlichen Druck formierten und die
mediale und politische Präsenz
erkämpften. Bei der medialen und
politischen Aufbereitung dieser und
anderer Tötungen wird dabei häufig von
Einzelfällen gesprochen, von „traurigen“
Ausnahmen durch individuelle
Fehlleistungen
einzelner
Polizeibeamt*innen. Die Legende der
bedauerlichen Einzelfälle individualisiert
diese spezifische Form polizeilicher
Gewalt, die vielmehr eine konkrete Folge
institutionellen Rassismus in der Polizei
selbst darstellt.
Wir unterhielten uns mit Nadine Saeed
von der „Initiative in Gedenken an Oury
Jalloh“, die seit nunmehr 15 Jahren
eigenmächtig versucht, den Fall
aufzuklären.
«Ourys Fall ist einer von vielen und
exemplarisch für alle Menschen, die
durch Polizeigewalt umgekommen
sind.»
Nadine, eines vorweg: Warum bist du
in der „Initiative in Gedenken an
Oury Jalloh“ aktiv beteiligt?
Weil ich es unerträglich finde, in
einer Gesellschaft zu leben, wo
Polizeigewalt ignoriert und toleriert wird.
Es ist für mich sinnvoll aktiv zu sein, da
es hier nicht nur um Oury Jalloh geht,
sondern um die Aufdeckung eines
mordenden Systems.
Warst du auch bereits selbst von
Diskriminierung betroffen?
Ja, auf jeden Fall, ich bin eine Frau
und deswegen permanent von
Diskriminierung betroffen.
Am 07.01.2005 verbrennt Oury Jalloh
– an Händen und Füßen gefesselt – in
der Zelle 5 im Polizeirevier Dessau.
Die Staatsanwaltschaft ging damals
und in späteren Gerichtsverfahren
davon aus, dass sich Oury – trotz
Hand- und Fußfesseln – auf einer
schwer entflammbaren Matratze mit
einem Feuerzeug selbst angezündet
habe und beharrt auf eine
„Selbstentzündungsthese“.
Dringendste und nächstliegendste
Frage ist doch: Wie kann ein Mann,
dessen Hände fixiert sind, eine
Matratze aufschlitzen, ein Feuerzeug
hervorziehen und ein Feuer legen?
Als Erstes: wohlwissend, dass es
nicht so gewesen sein kann, sie es aber
seit Anfang an bis heute behaupten –
obwohl alle Fakten darlegen, das dies gar
nicht möglich sein kann – dass ein
Mensch, der an Händen und Füßen –
vierpunkt-fixiert – gefesselt auf einer
feuerfesten Matratze bis zur
Unkenntlichkeit komplett verbrannt
wurde, in einer Zelle – einem
geschlossenen Raum in Polizeiobhut – in
dem nichts anderes Entflammbares
vorhanden war, sich selbst anzündet.
Oury hatte keinen Bewegungsfreiraum
(die Matratze ragte über das Podest), er
hatte kein Feuerzeug an sich (wie soll
dieses bei der gründlichen und
rassistischen Untersuchung Ourys vor in
Gewahrsamnahme übersehen worden
sein?), zudem gibt es keine Spuren in der
Zelle, weder weist es die DNA von Oury
auf dem nachträglich auf die
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