UNDERDOG #64
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Schwerpunkt: Rassismus und Polizeigewalt
Rassismus durchdringt verschiedene gesellschaftliche Ebenen, wenn er etwa im Alltag, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungssystem, am Arbeitsplatz oder aber in Polizei und Justiz wirksam wird. Während individueller Rassismus zuweilen thematisiert wird, wird institutioneller Rassismus und somit auch die Wirkmacht des Rassismus weitgehend außer Acht gelassen. Unsere Schwerpunktausgabe will das ändern.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Initiative 19. Februar
von meiner Mitschüler*innen jedes Mal
in seine Schranken gewiesen. Trotz all
diesem Glück während meiner Schulzeit,
muss ich dennoch sagen, dass in den
letzten paar Jahren auch ich immer mehr
Erfahrungen mache, die mich als Mensch
schon fast entwürdigen: Leute in der
Bahn, die sich wegsetzen, wenn ich mich
in die Nähe setze. Arbeitskolleg*innen,
die mich fragen, wieso ich kein Kopftuch
tragen muss und wie viele Geschwister
ich habe. In einem Randbezirk von Berlin
wurde ich zum ersten Mal in meinem
Leben auf offener Straße als „Scheiß
Ausländerin“ beschimpft, die „sich
verpissen“ soll.
Für mich sind das – ehrlich gesagt –
relativ neue Erfahrungen. Ich muss da
einfach unfassbar viel Glück im Leben
gehabt haben, aber das ist leider nicht
die Regel, sondern eine sehr seltene
Ausnahme.
Solidarität in solchen Fällen ist sehr
wichtig. Es ist wichtig, für Menschen, die
derart diskriminiert und stigmatisiert
werden – und das meistens in der
Öffentlichkeit – dass sie nicht ins Leere
fallen und aufgefangen werden. Doch
auch das sollte auf Augenhöhe
geschehen. Man sollte sich nicht
weiterhin wie ein Opfer fühlen, das
beschützt werden muss. Es geht nicht
darum, in eine „Obhut“ genommen zu
werden. Betroffene können sehr gut für
sich selbst sprechen und mittlerweile
auch stark und souverän mit solchen
Momenten umgehen, das sollte man auch
jedem Menschen zuschreiben. Es geht
viel mehr um Rückenwind und Support.
Man sollte sich als Nicht-Betroffene*r
nicht den Kampf zu eigen machen und
sich als „das Opfer“ in diesen Momenten
darstellen oder inszenieren. Es ist viel
wichtiger, den Betroffenen in diesen
Momenten zu zeigen – in ganz
unterschiedlichen Formen – das man das
Geschehene mitbekommen hat und dass
das absolut inakzeptabel ist und man
nicht alleine ist. Solche Dinge können
auch ganz subtil ablaufen.
«Sie geben einem zu verstehen, dass
man handlungsunfähig ist, dass man
klein und schwach ist, und jemand
„weißen“, privilegierten an ihrer Seite
braucht, um gehört und gesehen zu
werden.»
Was ist für dich am wichtigsten im
Umgang mit Rassismus?
Wie bereits erwähnt – die
Augenhöhe und der Respekt. Betroffene
von Rassismus werden schnell zu einem
politischen Spielball gemacht. Ihr
Schicksal, ihre Lebensrealitäten werden
instrumentalisiert, um eine bestimmte
politische Agenda durchzusetzen. Viel zu
oft werden sie auch als bloße „Opfer von
Rassismus“ dargestellt und darauf
reduziert. Wenn man ihnen zuhört, dann
fragt man sie nur nach ihren Rassismus-
Erfahrungen, sie werden in Talk-Shows
als „Rassismus-Expert*innen“ eingeladen
und sollen eine kurze und knackige
Antwort abliefern, wie man in 5 Minuten
ein Jahrtausend altes Problem, das von
der weißen Gesellschaft ausgeht, zu
lösen ist.
Viele gehen auch nicht mit Empathie,
sondern mit Mitleid an die Sache heran.
Und Mitleid ist ebenso degradierend. Sie
geben einem zu verstehen, dass man
handlungsunfähig ist, dass man klein und
schwach ist, und jemand „weißen“,
privilegierten an ihrer Seite braucht, um
gehört und gesehen zu werden. Man wird
quasi nur noch als ein Sozialfall gesehen,
der ohne „weiße Verbündete“ gar nicht
mehr überleben würde oder könnte. Es
ist ein schmaler Grat zwischen
Solidarität und Entwürdigung,
31