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TOP 500 | INTERVIEW<br />
nahmen kann man ja nur träumen.<br />
Aber ich habe das Gefühl,<br />
man lässt alles einfach laufen, nach<br />
dem Motto: Wird sich schon von<br />
selbst regeln. Doch dieses Vertrauen<br />
bzw. Sich-abhängig-Machen<br />
vom freien Markt hat uns in die<br />
Situation geführt, in der wir sind.<br />
Der politische Zugang „mehr privat,<br />
weniger Staat“ ist einfach kein<br />
Erfolgsrezept.<br />
<strong>ECHO</strong>: Welche Maßnahmen<br />
wären notwendig, um die freien<br />
Mieten zu senken? Sehen Sie hier<br />
rechtliche Möglichkeiten?<br />
Zangerl: <strong>Das</strong> Problem ist dermaßen<br />
vielschichtig, dass es hier<br />
einen ganzen Rattenschwanz an<br />
Maßnahmen brauchen würde.<br />
<strong>Das</strong> reicht bis hinauf zur Zinspolitik<br />
der EZB. Viel mehr bauen ist<br />
zwar eine Möglichkeit, allerdings<br />
ist das aktuell bei den Bauträgern<br />
eher rückläufig. Die Kosten sind<br />
einfach zu hoch und die Rahmenbedingungen<br />
äußerst ungünstig. Fest steht, dass wir viel zu<br />
wenig leistbare Wohnungen haben und die<br />
Mieter immer stärker unter Druck geraten.<br />
Deshalb bräuchte es auch klare Regelungen<br />
bei Anlegerwohnungen oder Eingriffe bei den<br />
Grundstückspreisen. Es wird aber höchste Zeit,<br />
Druck aus dem überhitzten Markt zu nehmen.<br />
Wenn in Innsbruck ein Zimmer in einer WG<br />
bis zu 1.000 Euro kostet, dann werden wir bald<br />
Zelte für unsere Familien aufstellen können.<br />
<strong>ECHO</strong>: Welche Maßnahmen könnte die Tiroler<br />
Landesregierung ergreifen, um die Kosten<br />
für Wohnen zu senken?<br />
Zangerl: Wir haben der Landesregierung in<br />
den letzten Jahren mehrere Maßnahmenkataloge<br />
übermittelt, darunter natürlich auch zum<br />
Thema Wohnen. Dabei geht es um Themen<br />
wie die Erhöhung und Evaluierung der Mietzins-<br />
und Wohnbeihilfe, die Verpflichtung gemeinnütziger<br />
Bauvereinigungen zu höherem<br />
Eigenmitteleinsatz oder um eine Mietpreisbremse<br />
und das Einführen eines Mietpreisindex<br />
nach Schweizer Vorbild. Gerade bei den<br />
Bundesthemen braucht es den Druck aus den<br />
Ländern, wie bei der Mietpreisbremse nach<br />
Schweizer Vorbild. <strong>Das</strong> würde Sinn machen<br />
und nicht ein halbherziger Mietpreisdeckel,<br />
der nicht einmal in die Nähe der derzeitigen<br />
Inflation kommt.<br />
<strong>ECHO</strong>: Vor allem bei der ÖVP häufen sich<br />
die Aussagen, dass man beim Klimawandel<br />
vermehrt auf technische Innovationen achten<br />
soll. Wo stehen Sie in diesem Diskurs?<br />
Zangerl: Wir leben mittlerweile in einer Welt<br />
der multiplen Krisen, die sich gegenseitig beeinflussen.<br />
Man kann dieses Problem nicht mehr<br />
isoliert nur für ein Land oder eine Region betrachten,<br />
das gilt auch in puncto Innovation.<br />
Natürlich werden technische Neuerungen<br />
notwendig sein, aber wir sehen ja jetzt schon,<br />
wie schwierig es etwa im Bereich der Energie<br />
ist, diese Neuerungen umzusetzen, geschweige<br />
denn umfassende Lösungen zu finden. Und<br />
dabei ist gerade das Thema Energie so entscheidend.<br />
Die Zeitpläne, die von den Regierungen<br />
aufgestellt werden, um die Klimakrise zu bekämpfen,<br />
sind einfach unrealistisch, weil in dieser<br />
kurzen Zeit nicht die nötige saubere Energie<br />
bereitgestellt werden kann, die für eine umfassende<br />
Energiewende notwendig ist. Man kann<br />
natürlich, wie Deutschland, aus der Atomkraft<br />
aussteigen. Ob es sinnvoll ist, dann Atomstrom<br />
aus Frankreich oder Kohle aus Südafrika zu<br />
beziehen, steht auf einem anderen<br />
Blatt. Es bräuchte hier eine gesamteuropäische<br />
Strategie, ein gesamteuropäisches<br />
Innovationszentrum<br />
sozusagen, wo dann wirklich Innovationen<br />
herauskommen, die die<br />
Menschen nicht zusätzlich belasten,<br />
sondern entlasten.<br />
<strong>ECHO</strong>: Die Tirol Kliniken müssen<br />
rund 200 Betten aufgrund von<br />
Personalmangel sperren. Ist die<br />
Krise hausgemacht? Von wem?<br />
Welche Lösungen sehen Sie?<br />
Zangerl: Wir haben immer davor<br />
gewarnt, dass das Personal ausbrennt,<br />
dass die Bezahlung nicht<br />
adäquat ist, dass die Arbeitszeiten<br />
zu unflexibel sind oder dass die<br />
Wertschätzung fehlt. Durch Corona<br />
wurde deutlich, dass diese<br />
Einschätzung absolut richtig war.<br />
Jetzt steht die Pflege am Rand des<br />
Abgrunds und wir werden uns damit<br />
anfreunden müssen, dass wir<br />
nicht mehr die medizinische Versorgung haben<br />
werden, die wir gewohnt waren. Wir haben auf<br />
allen Ebenen einen Notstand, weil kein Geld<br />
in die Hand genommen wird. Bei den Tirol<br />
Kliniken gibt es einen gesetzlichen Lohn ohne<br />
Möglichkeit der Überzahlung. <strong>Das</strong>s hier<br />
MitarbeiterInnen abwandern oder schwer zu<br />
finden sind, ist doch logisch. Ich warne die EntscheidungsträgerInnen<br />
eindringlich davor, dass<br />
die TirolerInnen unter dieser Situation leiden<br />
werden, und zwar buchstäblich. Deshalb muss<br />
das Gehaltssystem endlich an die realen Gegebenheiten<br />
angepasst werden. Die Ausbildung<br />
muss in allen Bereichen forciert werden. Und<br />
auch hier muss die finanzielle Entschädigung<br />
passen. Man muss nur endlich auf die ganz<br />
realistischen Forderungen des Pflegepersonals<br />
und der Auszubildenden eingehen, und zwar<br />
ohne Wenn und Aber. Wo die Probleme liegen,<br />
ist allgemein bekannt. Mich stört, dass der Wert<br />
Pflege einfach nicht honoriert wird, dass man<br />
sehenden Auges in diese Krise gelaufen ist und<br />
sogar jetzt, nach Corona, nicht schnell zu einer<br />
Lösung kommt. Die Pflege ist so gesehen eine<br />
der hausgemachtesten Krisen, die wir haben.<br />
Und sie wird die Krise sein, die gefährlicher als<br />
Corona werden könnte, wird hier nicht gegengesteuert.<br />