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ECHO Top500 2023 - Das Original.

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TOP 500 | INTERVIEW<br />

nahmen kann man ja nur träumen.<br />

Aber ich habe das Gefühl,<br />

man lässt alles einfach laufen, nach<br />

dem Motto: Wird sich schon von<br />

selbst regeln. Doch dieses Vertrauen<br />

bzw. Sich-abhängig-Machen<br />

vom freien Markt hat uns in die<br />

Situation geführt, in der wir sind.<br />

Der politische Zugang „mehr privat,<br />

weniger Staat“ ist einfach kein<br />

Erfolgsrezept.<br />

<strong>ECHO</strong>: Welche Maßnahmen<br />

wären notwendig, um die freien<br />

Mieten zu senken? Sehen Sie hier<br />

rechtliche Möglichkeiten?<br />

Zangerl: <strong>Das</strong> Problem ist dermaßen<br />

vielschichtig, dass es hier<br />

einen ganzen Rattenschwanz an<br />

Maßnahmen brauchen würde.<br />

<strong>Das</strong> reicht bis hinauf zur Zinspolitik<br />

der EZB. Viel mehr bauen ist<br />

zwar eine Möglichkeit, allerdings<br />

ist das aktuell bei den Bauträgern<br />

eher rückläufig. Die Kosten sind<br />

einfach zu hoch und die Rahmenbedingungen<br />

äußerst ungünstig. Fest steht, dass wir viel zu<br />

wenig leistbare Wohnungen haben und die<br />

Mieter immer stärker unter Druck geraten.<br />

Deshalb bräuchte es auch klare Regelungen<br />

bei Anlegerwohnungen oder Eingriffe bei den<br />

Grundstückspreisen. Es wird aber höchste Zeit,<br />

Druck aus dem überhitzten Markt zu nehmen.<br />

Wenn in Innsbruck ein Zimmer in einer WG<br />

bis zu 1.000 Euro kostet, dann werden wir bald<br />

Zelte für unsere Familien aufstellen können.<br />

<strong>ECHO</strong>: Welche Maßnahmen könnte die Tiroler<br />

Landesregierung ergreifen, um die Kosten<br />

für Wohnen zu senken?<br />

Zangerl: Wir haben der Landesregierung in<br />

den letzten Jahren mehrere Maßnahmenkataloge<br />

übermittelt, darunter natürlich auch zum<br />

Thema Wohnen. Dabei geht es um Themen<br />

wie die Erhöhung und Evaluierung der Mietzins-<br />

und Wohnbeihilfe, die Verpflichtung gemeinnütziger<br />

Bauvereinigungen zu höherem<br />

Eigenmitteleinsatz oder um eine Mietpreisbremse<br />

und das Einführen eines Mietpreisindex<br />

nach Schweizer Vorbild. Gerade bei den<br />

Bundesthemen braucht es den Druck aus den<br />

Ländern, wie bei der Mietpreisbremse nach<br />

Schweizer Vorbild. <strong>Das</strong> würde Sinn machen<br />

und nicht ein halbherziger Mietpreisdeckel,<br />

der nicht einmal in die Nähe der derzeitigen<br />

Inflation kommt.<br />

<strong>ECHO</strong>: Vor allem bei der ÖVP häufen sich<br />

die Aussagen, dass man beim Klimawandel<br />

vermehrt auf technische Innovationen achten<br />

soll. Wo stehen Sie in diesem Diskurs?<br />

Zangerl: Wir leben mittlerweile in einer Welt<br />

der multiplen Krisen, die sich gegenseitig beeinflussen.<br />

Man kann dieses Problem nicht mehr<br />

isoliert nur für ein Land oder eine Region betrachten,<br />

das gilt auch in puncto Innovation.<br />

Natürlich werden technische Neuerungen<br />

notwendig sein, aber wir sehen ja jetzt schon,<br />

wie schwierig es etwa im Bereich der Energie<br />

ist, diese Neuerungen umzusetzen, geschweige<br />

denn umfassende Lösungen zu finden. Und<br />

dabei ist gerade das Thema Energie so entscheidend.<br />

Die Zeitpläne, die von den Regierungen<br />

aufgestellt werden, um die Klimakrise zu bekämpfen,<br />

sind einfach unrealistisch, weil in dieser<br />

kurzen Zeit nicht die nötige saubere Energie<br />

bereitgestellt werden kann, die für eine umfassende<br />

Energiewende notwendig ist. Man kann<br />

natürlich, wie Deutschland, aus der Atomkraft<br />

aussteigen. Ob es sinnvoll ist, dann Atomstrom<br />

aus Frankreich oder Kohle aus Südafrika zu<br />

beziehen, steht auf einem anderen<br />

Blatt. Es bräuchte hier eine gesamteuropäische<br />

Strategie, ein gesamteuropäisches<br />

Innovationszentrum<br />

sozusagen, wo dann wirklich Innovationen<br />

herauskommen, die die<br />

Menschen nicht zusätzlich belasten,<br />

sondern entlasten.<br />

<strong>ECHO</strong>: Die Tirol Kliniken müssen<br />

rund 200 Betten aufgrund von<br />

Personalmangel sperren. Ist die<br />

Krise hausgemacht? Von wem?<br />

Welche Lösungen sehen Sie?<br />

Zangerl: Wir haben immer davor<br />

gewarnt, dass das Personal ausbrennt,<br />

dass die Bezahlung nicht<br />

adäquat ist, dass die Arbeitszeiten<br />

zu unflexibel sind oder dass die<br />

Wertschätzung fehlt. Durch Corona<br />

wurde deutlich, dass diese<br />

Einschätzung absolut richtig war.<br />

Jetzt steht die Pflege am Rand des<br />

Abgrunds und wir werden uns damit<br />

anfreunden müssen, dass wir<br />

nicht mehr die medizinische Versorgung haben<br />

werden, die wir gewohnt waren. Wir haben auf<br />

allen Ebenen einen Notstand, weil kein Geld<br />

in die Hand genommen wird. Bei den Tirol<br />

Kliniken gibt es einen gesetzlichen Lohn ohne<br />

Möglichkeit der Überzahlung. <strong>Das</strong>s hier<br />

MitarbeiterInnen abwandern oder schwer zu<br />

finden sind, ist doch logisch. Ich warne die EntscheidungsträgerInnen<br />

eindringlich davor, dass<br />

die TirolerInnen unter dieser Situation leiden<br />

werden, und zwar buchstäblich. Deshalb muss<br />

das Gehaltssystem endlich an die realen Gegebenheiten<br />

angepasst werden. Die Ausbildung<br />

muss in allen Bereichen forciert werden. Und<br />

auch hier muss die finanzielle Entschädigung<br />

passen. Man muss nur endlich auf die ganz<br />

realistischen Forderungen des Pflegepersonals<br />

und der Auszubildenden eingehen, und zwar<br />

ohne Wenn und Aber. Wo die Probleme liegen,<br />

ist allgemein bekannt. Mich stört, dass der Wert<br />

Pflege einfach nicht honoriert wird, dass man<br />

sehenden Auges in diese Krise gelaufen ist und<br />

sogar jetzt, nach Corona, nicht schnell zu einer<br />

Lösung kommt. Die Pflege ist so gesehen eine<br />

der hausgemachtesten Krisen, die wir haben.<br />

Und sie wird die Krise sein, die gefährlicher als<br />

Corona werden könnte, wird hier nicht gegengesteuert.<br />

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