»DAS GEBORGENSEIN IN DER ABGESCHIEDENHEIT UND UNAUSWEICHLICHKEIT, DAS TEILWERDEN EINER WELT, DIE AUS NICHTS ALS EIS, LICHT UND WIND BESTEHT, UND DIE SO SCHÖN UND VIELFÄLTIG IST, DASS ES MIR TÄGLICH AUFS NEUE DEN ATEM VERSCHLÄGT. EINE WELT AUS EIS, DIE MAN AUS DER FERNE TOT UND HART GLAUBT, DIE SICH ABER ALS ORT VON UNBESCHREIBLICHER SCHÖNHEIT, LEBENDIGKEIT UND INTENSITÄT ZEIGT.«
110 AURELIA HÖLZER LESEPROBE LESEPROBE Ankommen Es ist so weit. Micha, Werner und ich stecken schon in den Überlebensanzügen, der fürsorgliche Hubschrauber-Techniker kontrolliert noch schnell, ob sie wasserdicht sitzen. Fest umarmen wir unsere Teamkameraden, die später nachkommen. Es ist eigenartig, nach all der gemeinsamen Zeit voneinander getrennt zu werden. Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Gepäck hinten in den Hubschrauber hineinschmeißen, Helme aufsetzen, einsteigen, anschnallen und schon heben wir ab; schweben einen Moment lang neben dem Schiff, wo unsere Freunde an der Reling stehen und uns zum Abschied winken. Dann drehen wir ab, die »Polarstern« entschwindet. So viele gute Wünsche begleiten uns: Haltet die Ohren steif und bewahrt euch euer fröhliches Lachen, seid nett zueinander, zieht euch warm an, passt gut aufeinander auf und bleibt gesund, schön, dass ihr an Bord wart, ihr werdet uns fehlen. Bis in einem Jahr. Wir fliegen zügig über offenes Wasser dahin. Kaum Eisschollen in Sicht. Micha, Werner und ich drücken uns die Nasen an den Scheiben platt. »Fliegen ist Ruhe und Spaß«, sagte der Chefpilot vor dem Abheben. Von Ruhe keine Spur, soviel steht fest, wir sind viel zu aufgeregt. Schließlich werden wir ausgeflogen zu unserem neuen Zuhause, werden ausgesetzt auf einem Kontinent, der im Grunde unbesiedelt ist, und den niemand von uns bisher betreten hat. Jetzt sehen wir in der Ferne das Schelfeis auftauchen, fliegen über einen zerborstenen Eisberg, der in atemberaubenden Formationen unter uns hindurchzieht, leuchtende Eisbrocken, türkisfarbene Canyons. »Isn’t the world beautiful!«, sagt der Pilot durch. Das ist sie wirklich, die Welt: wunderschön. Schon fliegen wir über die Schelfeiskante und sehen jetzt nur noch Eisfläche: kahl, flach, weiß, wohin man auch schaut. Und da hinten ist sie, die Neumayer-Station! Ein Stahlkasten auf Stelzen im endlosen weißen Nichts, drumherum Pistenbullys und Frachtcontainer. Sieht tatsächlich aus wie in den Dokus, fährt es mir durch den Kopf. Ruckzuck sind wir da, fliegen KALBEN EINES EISBERGS Abbruch von einem Stück Schelfeis. Der abgebrochene Eisblock schwimmt dann als Eisberg im Meer MESSE Speisesaal MESSEMONITOR Bildschirm, auf dem aktuelle Daten und Wetterprognosen zu lesen sind, sowie Ausfahrten ins Eis mit Zielort und geplanter Rückkehr angezeigt werden SASTRUGI Durch Wind entstandene Erhebungen und Vertiefungen im Schnee SCHELFEIS Eismassen, die vom Land aufs Meer hinausfließen, gleichsam einem schwimmenden Gletscher, der noch fest mit dem Land verbunden ist SCHELFEISKANTE Die Abbruchkante des Schelfeises; die Stelle, an der dieses endet und wie eine Klippe ins offene Meer abfällt SKIDOO Schneemobil, Motorschlitten ÜWI Auf der Neumayer-Station überwinternde Person WINDCHILL Real auf den Körper wirkende Kälte, kombiniert aus Lufttemperatur und Windgeschwindigkeit