PIPER Reader Herbst 2024

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AURELIA HÖLZER
LESEPROBE
Zahlreiche dramatische Legenden haben wir über
diese Exkursionen gehört. Angeblich kippte einmal
ein ÜWI mit seinem Skidoo an einem Sastrugi um,
kam unter dem Fahrzeug zu liegen und konnte seine
Kollegen nicht anfunken, da der Funkgerät-Akku sich
kältebedingt geleert hatte. Er musste zusehen, wie
die anderen in der Dunkelheit verschwanden – bis sie
sein Fehlen bemerkten, zurückfuhren und ihn fanden.
Andere Erzählungen handeln von durchgefrorenen
ÜWIs, die, zurück an der Station, vom Skidoo gezerrt
und ins Haus getragen werden mussten, weil sie nur
noch zitterten. Was auch an diesen Geschichten dran
sein mag – einer meiner Vorgänger erzählte mir persönlich,
dass die Meereisfahrten ihn an seine Grenzen
geführt hätten. Viele berichten das – aber auch, dass es
das Schönste ist, was man hier erleben kann.
Heftige Stürme
gehören zum
antarktischen Alltag.
Bei den Meereismessungen untersuchen wir genau
genommen das Festeis. So nennt sich jene Form von
Meereis, welches an Ufern oder an der Schelfeiskante
festgefroren ist, und nicht in Form von Schollen oder
Packeis auf dem offenen Meer treibt. Das Festeis hat
eine stabilisierende Funktion für die Schelfeise und
trägt dazu bei, dass diese später kalben, und länger
erhalten blieben.
Seine Oberfläche bildet zudem einen einzigartigen
Brutort für Kaiserpinguine. Auch die Weddellrobben
gebären und säugen hier ihre Jungen, denn im Gegensatz
zu Eisschollen auf dem offenen Meer bietet die
große geschlossene Eisfläche in der Bucht optimalen
Schutz vor Fressfeinden wie Orcas und Seeleoparden.
Das Meereis in seiner Gesamtheit – Festeis wie Schollen
auf dem offenen Meer – ist eine außerordentlich
wichtige physikalische Grenzschicht zwischen Atmosphäre
und Ozean, die Sonnenlicht und Wärme
reflektiert und daher kühlend auf unser Klima wirkt.
Seine Verringerung auf den Polarmeeren ist ein starker
Indikator für den Klimawandel.
Ferner spielt das Meereis eine wichtige biologische
Rolle im marinen Ökosystem der Antarktis. Sein
Vorkommen ist essenziell für Mikroorganismen und
Pflanzenplankton, die am Anfang einer riesigen Nahrungskette
stehen: Sie ernähren kleine Meerestiere wie
den Krill, von dem direkt oder indirekt die Nahrung
von Fischen, Vögeln, Robben und Walen abhängt.
(…)