PIPER Reader Herbst 2024
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AURELIA HÖLZER<br />
LESEPROBE<br />
einen Kreis um die Station herum, sehen unten kleine<br />
Menschlein stehen, die uns winken, und landen butterweich.<br />
Die Tür geht auf und nun heißt es, rausspringen<br />
und Gepäck ausladen – bei laufendem Hubschrauber.<br />
Der Heli-Techniker passt auf, dass in der Aufregung<br />
niemand in den Heckrotor läuft. Und da kommen sie<br />
schon durch den Schnee gestapft, uns entgegen, die<br />
Alt-Überwinternden in ihren roten Polaranzügen. Ihre<br />
Ablöse ist da. Wir sind die Neuen. Wir umarmen uns<br />
und sie packen gleich beim Gepäck mit an.<br />
Vor der Station wurde zu unserem Empfang eine<br />
großzügige Eisbar gebaut, dort stehen freundlichneugierige<br />
Menschen. Ich gehe herum, sage »Hallo«,<br />
»Ich bin Aurelia«, »Hallo, ich freu mich, dass wir endlich<br />
da sind, hallo«. Ich kann mir kaum einen Namen<br />
merken, gehe an die Bar, nippe an irgendwas, rede<br />
mit irgendwem. Im Grunde geht der Rest unter in<br />
völligem Überwältigtsein. Nach und nach kommen<br />
unsere Teamkameraden an. Hubschraubergeknatter,<br />
Kreis um die Station, Landung, Gepäck ausladen,<br />
Umarmungen. Schließlich sind wir alle neun angekommen<br />
und können es kaum glauben, dass wir tatsächlich<br />
hier sind. Was für ein Ort!<br />
Um uns herum ist alles flach und weiß, strahlt aber<br />
eine Intensität aus, die ich so noch nie erlebt habe.<br />
Ich bin mir kaum sicher, ob das hier noch der Planet<br />
Erde sein kann, so fremd ist es, so gigantisch und seltsam.<br />
Beim Anblick dieser Eiseinöde muss ich mich<br />
innerlich zusammennehmen, muss diese Atmosphäre<br />
regelrecht auf Abstand halten. Das soll nun unser Zuhause<br />
sein? Fühlt sich mitnichten danach an, dieser<br />
technische Kasten im schreiend reinen, unbegreiflichen<br />
Nichts. Es ist so eigenartig und unwirklich schön,<br />
dass ich es nicht mal annähernd erfassen kann. Heimelig<br />
ist es jedenfalls nicht. Unser Koch Werner und<br />
ich fallen uns immer wieder fassungslos um den Hals.<br />
Wir sind da. Wie irre, wie unglaublich. Wie wahnsinnig<br />
gut, dass wir uns beworben haben, dass wir den<br />
Mut hatten, unsere Hüte in den Ring zu werfen, beglückwünschen<br />
wir uns gegenseitig. Ist das krass hier!<br />
AURELIA HÖLZER<br />
Geboren 1978, wuchs im Südschwarzwald<br />
auf und studierte Medizin in Freiburg,<br />
Bordeaux und Trinidad. Sie wurde Chirurgin,<br />
spezialisierte sich auf Gefäßchirurgie<br />
und hatte schließlich am Universitätsklinikum<br />
Dresden die Position einer<br />
Oberärztin inne. Ihre Faszination für<br />
arktische Regionen entdeckte sie schon<br />
als Zwölfjährige nach der Lektüre von<br />
Christiane Ritters »Eine Frau erlebt die<br />
Polarnacht«. Als sie viele Jahre später<br />
ein Sabbatical in Alaska und Nordnorwegen<br />
machte, wurde die lange vernachlässigte<br />
Sehnsucht nicht gestillt, sondern<br />
angefacht, und die Stellenanzeige<br />
des Alfred-Wegener-Instituts kam gerade<br />
recht: »Arzt (Chirurgie) (m/w/d) gesucht<br />
für Überwinterung in der Antarktis«. Sofort<br />
machte sie eine Zusatzausbildung<br />
zur Notärztin und bewarb sich. Ihr alter<br />
Traum von den Polarregionen brach sich<br />
Bahn, jedoch in einer völlig unerwarteten<br />
Variante: der Antarktis und der<br />
Arbeit auf einer Forschungsstation.