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PIPER Reader Herbst 2024

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111<br />

AURELIA HÖLZER<br />

LESEPROBE<br />

einen Kreis um die Station herum, sehen unten kleine<br />

Menschlein stehen, die uns winken, und landen butterweich.<br />

Die Tür geht auf und nun heißt es, rausspringen<br />

und Gepäck ausladen – bei laufendem Hubschrauber.<br />

Der Heli-Techniker passt auf, dass in der Aufregung<br />

niemand in den Heckrotor läuft. Und da kommen sie<br />

schon durch den Schnee gestapft, uns entgegen, die<br />

Alt-Überwinternden in ihren roten Polaranzügen. Ihre<br />

Ablöse ist da. Wir sind die Neuen. Wir umarmen uns<br />

und sie packen gleich beim Gepäck mit an.<br />

Vor der Station wurde zu unserem Empfang eine<br />

großzügige Eisbar gebaut, dort stehen freundlichneugierige<br />

Menschen. Ich gehe herum, sage »Hallo«,<br />

»Ich bin Aurelia«, »Hallo, ich freu mich, dass wir endlich<br />

da sind, hallo«. Ich kann mir kaum einen Namen<br />

merken, gehe an die Bar, nippe an irgendwas, rede<br />

mit irgendwem. Im Grunde geht der Rest unter in<br />

völligem Überwältigtsein. Nach und nach kommen<br />

unsere Teamkameraden an. Hubschraubergeknatter,<br />

Kreis um die Station, Landung, Gepäck ausladen,<br />

Umarmungen. Schließlich sind wir alle neun angekommen<br />

und können es kaum glauben, dass wir tatsächlich<br />

hier sind. Was für ein Ort!<br />

Um uns herum ist alles flach und weiß, strahlt aber<br />

eine Intensität aus, die ich so noch nie erlebt habe.<br />

Ich bin mir kaum sicher, ob das hier noch der Planet<br />

Erde sein kann, so fremd ist es, so gigantisch und seltsam.<br />

Beim Anblick dieser Eiseinöde muss ich mich<br />

innerlich zusammennehmen, muss diese Atmosphäre<br />

regelrecht auf Abstand halten. Das soll nun unser Zuhause<br />

sein? Fühlt sich mitnichten danach an, dieser<br />

technische Kasten im schreiend reinen, unbegreiflichen<br />

Nichts. Es ist so eigenartig und unwirklich schön,<br />

dass ich es nicht mal annähernd erfassen kann. Heimelig<br />

ist es jedenfalls nicht. Unser Koch Werner und<br />

ich fallen uns immer wieder fassungslos um den Hals.<br />

Wir sind da. Wie irre, wie unglaublich. Wie wahnsinnig<br />

gut, dass wir uns beworben haben, dass wir den<br />

Mut hatten, unsere Hüte in den Ring zu werfen, beglückwünschen<br />

wir uns gegenseitig. Ist das krass hier!<br />

AURELIA HÖLZER<br />

Geboren 1978, wuchs im Südschwarzwald<br />

auf und studierte Medizin in Freiburg,<br />

Bordeaux und Trinidad. Sie wurde Chirurgin,<br />

spezialisierte sich auf Gefäßchirurgie<br />

und hatte schließlich am Universitätsklinikum<br />

Dresden die Position einer<br />

Oberärztin inne. Ihre Faszination für<br />

arktische Regionen entdeckte sie schon<br />

als Zwölfjährige nach der Lektüre von<br />

Christiane Ritters »Eine Frau erlebt die<br />

Polarnacht«. Als sie viele Jahre später<br />

ein Sabbatical in Alaska und Nordnorwegen<br />

machte, wurde die lange vernachlässigte<br />

Sehnsucht nicht gestillt, sondern<br />

angefacht, und die Stellenanzeige<br />

des Alfred-Wegener-Instituts kam gerade<br />

recht: »Arzt (Chirurgie) (m/w/d) gesucht<br />

für Überwinterung in der Antarktis«. Sofort<br />

machte sie eine Zusatzausbildung<br />

zur Notärztin und bewarb sich. Ihr alter<br />

Traum von den Polarregionen brach sich<br />

Bahn, jedoch in einer völlig unerwarteten<br />

Variante: der Antarktis und der<br />

Arbeit auf einer Forschungsstation.

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