PIPER Reader Herbst 2024
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HENDRIK STREECK<br />
INTERVIEW<br />
Ländern und den relevanten Organisationen, insbesondere<br />
zwischen China und der WHO, stattgefunden<br />
hätte. Auf diese Weise wäre der Ausbruch im<br />
Keim zu ersticken gewesen. Doch solche Überlegungen<br />
bleiben hypothetisch. Wichtig ist zu erkennen,<br />
dass das Risiko einer neuen Pandemie weiterhin und<br />
dauerhaft besteht, vor allem wenn ein Virus von Tieren<br />
auf Menschen übertragen wird, es also zur Zoonose<br />
kommt. Auch deshalb müssen wir Lehren aus<br />
der Coronakrise ziehen.<br />
Was müssen wir uns unter einer Zoonose<br />
vorstellen?<br />
Schätzungen zufolge gibt es weltweit rund 1,7 Millionen<br />
noch unentdeckte Viren, von denen etwa 400 000<br />
das Potenzial besitzen, Menschen zu infizieren. Oft<br />
findet eine solche Erstinfektion statt, wenn Viren vom<br />
Tierreich auf den Menschen übergehen – ein Vorgang,<br />
der als Zoonose bezeichnet wird. Obwohl nicht jede<br />
Zoonose zu einer Pandemie führt, birgt sie dennoch<br />
häufig ein erhebliches Risiko. Der Übertritt von Viren<br />
kann insbesondere dann erfolgen, wenn Tiere unter<br />
Bedingungen gehalten werden, die ihnen unnatürlich<br />
enge Kontakte sowohl zu anderen Arten als auch zu<br />
Menschen aufzwingen, sei es durch den Wildtierhandel<br />
oder die Zerstörung ihres natürlichen Lebensraums.<br />
Aus diesem Grund spielt der Artenschutz eine entscheidende<br />
Rolle bei der Verhinderung von Pandemien.<br />
Indem wir uns für den Schutz tierischer Arten einsetzen,<br />
leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Prävention<br />
von Virenübertragungen auf den Menschen.<br />
Und wann entsteht aus einem solchen<br />
»Viren-Übertritt« eine Pandemie?<br />
Wenn sich innerhalb kurzer Zeit immer mehr Menschen<br />
infizieren und das Virus dabei Ländergrenzen<br />
überwindet, entwickelt sich aus einem lokalen Ausbruch<br />
zunächst eine Epidemie und schließlich eine<br />
Pandemie, die dann nur noch schwer einzudämmen<br />
ist. Diese Dynamik haben wir beim Coronavirus<br />
(SARS-CoV-2) miterlebt, als es sich von China aus<br />
zunächst nach Thailand, dann in die USA und kurz<br />
darauf auch nach Deutschland ausbreitete. Ein anders<br />
gelagerter Fall war der Ausbruch des SARS-1-Virus,<br />
bei dem es auch bereits zu einer Pandemie kam, der<br />
aber – da SARS-1 schwerer übertragbar ist – in diesem<br />
Stadium noch eingedämmt werden konnte.<br />
Nun aber hat das Coronavirus damals die<br />
Grenzen von Ländern und Kontinenten überwunden.<br />
Hatten wir in Deutschland also<br />
überhaupt einen Handlungsspielraum?<br />
Die eigentliche Frage ist doch, ob wir in Deutschland<br />
richtig gehandelt haben. Ob wir uns auf die absehbare<br />
Pandemie angemessen vorbereitet haben. Oder ob wir<br />
vielleicht eine zu abwartende Haltung eingenommen<br />
haben.<br />
Haben wir?<br />
Diese Frage beantworte ich in meinem Buch. (lacht)<br />
Zu welchem Zeitpunkt nach dem Ausbruch<br />
des Coronavirus war Ihnen klar, dass wir es<br />
mit einer Pandemie zu tun haben?<br />
Als die ersten Fälle in China bekannt wurden, hatte<br />
ich noch die Hoffnung, dass es möglich sein würde, die<br />
Ausbreitung des Virus innerhalb der Landesgrenzen zu<br />
kontrollieren und so eine internationale Verbreitung<br />
zu verhindern. Die anschließende Meldung des ersten<br />
Falls in Thailand löste bei mir zwar Nervosität aus, aber<br />
noch blieb ich optimistisch, dass der Ausbruch auf Asien<br />
beschränkt bleiben könnte. Jedoch änderte sich meine<br />
Einschätzung grundlegend, als die ersten Infektionen<br />
in den USA bestätigt wurden. Ab da war mir bewusst,<br />
dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch Deutschland<br />
betroffen sein würde. Das war der entscheidende<br />
Moment, in dem wir auch sofort mit der Einführung<br />
von Coronatests in unserem Labor begannen.<br />
Hätten wir schon an diesem Punkt etwas<br />
besser machen können?<br />
Ich glaube schon. In der Anfangsphase haben wir in<br />
Deutschland eine abwartende Haltung eingenommen.<br />
Wir haben zwar nach Personen gesucht, die aus China<br />
kommen und die betreffende Symptomatik aufweisen,<br />
aber wir waren nicht proaktiv. Wir haben die Dinge