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84<br />

HENDRIK STREECK<br />

INTERVIEW<br />

Ländern und den relevanten Organisationen, insbesondere<br />

zwischen China und der WHO, stattgefunden<br />

hätte. Auf diese Weise wäre der Ausbruch im<br />

Keim zu ersticken gewesen. Doch solche Überlegungen<br />

bleiben hypothetisch. Wichtig ist zu erkennen,<br />

dass das Risiko einer neuen Pandemie weiterhin und<br />

dauerhaft besteht, vor allem wenn ein Virus von Tieren<br />

auf Menschen übertragen wird, es also zur Zoonose<br />

kommt. Auch deshalb müssen wir Lehren aus<br />

der Coronakrise ziehen.<br />

Was müssen wir uns unter einer Zoonose<br />

vorstellen?<br />

Schätzungen zufolge gibt es weltweit rund 1,7 Millionen<br />

noch unentdeckte Viren, von denen etwa 400 000<br />

das Potenzial besitzen, Menschen zu infizieren. Oft<br />

findet eine solche Erstinfektion statt, wenn Viren vom<br />

Tierreich auf den Menschen übergehen – ein Vorgang,<br />

der als Zoonose bezeichnet wird. Obwohl nicht jede<br />

Zoonose zu einer Pandemie führt, birgt sie dennoch<br />

häufig ein erhebliches Risiko. Der Übertritt von Viren<br />

kann insbesondere dann erfolgen, wenn Tiere unter<br />

Bedingungen gehalten werden, die ihnen unnatürlich<br />

enge Kontakte sowohl zu anderen Arten als auch zu<br />

Menschen aufzwingen, sei es durch den Wildtierhandel<br />

oder die Zerstörung ihres natürlichen Lebensraums.<br />

Aus diesem Grund spielt der Artenschutz eine entscheidende<br />

Rolle bei der Verhinderung von Pandemien.<br />

Indem wir uns für den Schutz tierischer Arten einsetzen,<br />

leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Prävention<br />

von Virenübertragungen auf den Menschen.<br />

Und wann entsteht aus einem solchen<br />

»Viren-Übertritt« eine Pandemie?<br />

Wenn sich innerhalb kurzer Zeit immer mehr Menschen<br />

infizieren und das Virus dabei Ländergrenzen<br />

überwindet, entwickelt sich aus einem lokalen Ausbruch<br />

zunächst eine Epidemie und schließlich eine<br />

Pandemie, die dann nur noch schwer einzudämmen<br />

ist. Diese Dynamik haben wir beim Coronavirus<br />

(SARS-CoV-2) miterlebt, als es sich von China aus<br />

zunächst nach Thailand, dann in die USA und kurz<br />

darauf auch nach Deutschland ausbreitete. Ein anders<br />

gelagerter Fall war der Ausbruch des SARS-1-Virus,<br />

bei dem es auch bereits zu einer Pandemie kam, der<br />

aber – da SARS-1 schwerer übertragbar ist – in diesem<br />

Stadium noch eingedämmt werden konnte.<br />

Nun aber hat das Coronavirus damals die<br />

Grenzen von Ländern und Kontinenten überwunden.<br />

Hatten wir in Deutschland also<br />

überhaupt einen Handlungsspielraum?<br />

Die eigentliche Frage ist doch, ob wir in Deutschland<br />

richtig gehandelt haben. Ob wir uns auf die absehbare<br />

Pandemie angemessen vorbereitet haben. Oder ob wir<br />

vielleicht eine zu abwartende Haltung eingenommen<br />

haben.<br />

Haben wir?<br />

Diese Frage beantworte ich in meinem Buch. (lacht)<br />

Zu welchem Zeitpunkt nach dem Ausbruch<br />

des Coronavirus war Ihnen klar, dass wir es<br />

mit einer Pandemie zu tun haben?<br />

Als die ersten Fälle in China bekannt wurden, hatte<br />

ich noch die Hoffnung, dass es möglich sein würde, die<br />

Ausbreitung des Virus innerhalb der Landesgrenzen zu<br />

kontrollieren und so eine internationale Verbreitung<br />

zu verhindern. Die anschließende Meldung des ersten<br />

Falls in Thailand löste bei mir zwar Nervosität aus, aber<br />

noch blieb ich optimistisch, dass der Ausbruch auf Asien<br />

beschränkt bleiben könnte. Jedoch änderte sich meine<br />

Einschätzung grundlegend, als die ersten Infektionen<br />

in den USA bestätigt wurden. Ab da war mir bewusst,<br />

dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch Deutschland<br />

betroffen sein würde. Das war der entscheidende<br />

Moment, in dem wir auch sofort mit der Einführung<br />

von Coronatests in unserem Labor begannen.<br />

Hätten wir schon an diesem Punkt etwas<br />

besser machen können?<br />

Ich glaube schon. In der Anfangsphase haben wir in<br />

Deutschland eine abwartende Haltung eingenommen.<br />

Wir haben zwar nach Personen gesucht, die aus China<br />

kommen und die betreffende Symptomatik aufweisen,<br />

aber wir waren nicht proaktiv. Wir haben die Dinge

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